Vereinzelt am eigenen Anspruch gescheitert

  • Iris Kloppich
  • Lesedauer: 3 Min.

Noch in der Weimarer Republik ähnelte die Gewerkschaftsbewegung einem Flickenteppich. Es gab freie, christliche, liberale und deutsch-nationale Gewerkschaften. Im größten Dachverband, dem Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund, waren so nahe verwandte Berufsgruppen wie Bauarbeiter, Asphalteure und Steinsetzer in jeweils eigenen Gewerkschaften organisiert.

Erste Zusammenschlüsse der freien Gewerkschaften zu Industriegewerkschaften und Gewerkschaften des Öffentliches Dienstes nach dem Prinzip »Ein Betrieb = eine Gewerkschaft« erfolgten in den 1920er Jahren. »Nie wieder organisatorische Zersplitterung« war das Leitmotiv bei der Wiedergründung der Gewerkschaften nach 1945. Große Einheitsgewerkschaften unter dem Dach des DGB entstanden, die unter dem Prinzip der Solidarität erfolgreich für Lohnerhöhungen, Verkürzung der Arbeitszeit und Verbesserung der Arbeitsbedingungen eintraten und sozialpolitische Errungenschaften wie die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall durchsetzten.

Seitdem hat sich die Arbeitswelt gewandelt. Die Arbeitnehmerschaft besteht aus Stammbeschäftigten, befristet Beschäftigten, Leiharbeitern, Beschäftigten mit Werkverträgen usw. Für die Gewerkschaften wird es schwieriger, eine alle Interessen widerspiegelnde Politik zu machen. Der DGB übernimmt diese Funktion.

Die Fragmentierung der Arbeitnehmerschaft bedeutet deswegen nicht das Ende der gewerkschaftlichen Tarifpolitik. Über 80 Prozent der Tarifverträge werden immer noch von DGB-Gewerkschaften abgeschlossen. Dass es weiter möglich ist, Beschäftigte zu einer solidarischen Tarifpolitik zusammenzuschweißen, haben die letzten Tarifrunden etwa von IG Metall, ver.di und IG BCE mit ihren Erfolgen beim Kampf gegen den Missbrauch von Leiharbeit gezeigt. Im Übrigen sind in diesen Gewerkschaften mehrere Branchen zusammengeschlossen.

Spartengewerkschaften sind keineswegs neu. Die Gewerkschaft der Lokomotivführer gibt es seit 1867, die Unabhängige Flugbegleiter Organisation (UFO) seit 1992. Sie sind als berufsständische Organisationen entstanden und haben sich zu gewerkschaftlichen Organisationen entwickelt. Den Anspruch, es alleine besser zu machen als die großen DGB-Gewerkschaften, haben sie nicht immer einlösen können. Im Zusammenhang mit konzernweiten Umstrukturierungen bei der Lufthansa Anfang des Jahrtausends hat UFO die Erwartungen vieler ihrer Mitglieder enttäuscht. Jetzt hingegen hat die Organisation den Kampf um Lohnerhöhungen für das Lufthansa-Kabinenpersonal mit der Bekämpfung der Leiharbeit verbunden und damit ein wichtiges Anliegen der DGB-Gewerkschaften aufgenommen.

Nach wie vor bin ich der Ansicht, dass die Interessen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in den DGB-Gewerkschaften am besten aufgehoben sind. Herausforderungen wie globale Umstrukturierungen und Betriebsverlagerungen, die Aufgabe, ganze Standorte zu sichern sowie die wachsende Beschäftigung im Dienstleistungsbereich lassen sich von großen Industrie- und Dienstleistungsgewerkschaften besser meistern als von kleinen Spartenorganisationen. Besonders gesellschaftliche Themen wie die Entwicklung Europas, die Energiewende sowie die damit verbundenen Arbeitnehmerinteressen können von Berufsgewerkschaften nicht bearbeitet werden.

Die tarif- und gewerkschaftspolitische Abstimmung zwischen DGB-Gewerkschaften und Spartenorganisationen ist für uns kein Tabu. Durch die tarifpolitischen Erfolge von UFO oder Cockpit droht nicht gleich die ganze Tariflandschaft zu kippen. Viel dringlicher für uns ist es, sich mit der seit Jahren anhaltenden Tarifflucht von Betrieben auseinander zu setzen. Viel dringender ist es auch, dem Unterbieten bestehender tariflicher Normen durch sogenannte Gewerkschaften, die zwar kaum Mitglieder haben, aber nur zu oft von Arbeitgebern gefördert werden, ein Ende zu machen.

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