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Parteienfilz

  • Harry Nic
  • Lesedauer: 2 Min.

Ich muß gestehen, daß ich diese Ungeheuerlichkeit definitiv erst vom Autor erfahren habe: „Abgeordnetenbestechung ist in Deutschland straflos, passiv und aktiv“ (S.226). Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte können gar nicht erst ermitteln; folglich bleibt das meiste im Dunkeln. Bestechungsgelder unterliegen auch nicht der Einkommenssteuer, sondern der viel niedrigeren Schenkungssteuer.

Dieses Buch kann insbesondere politisch interessierten Ostdeutschen gar nicht dringend genug; empfohlen werden: Sie erfahren nicht- nur eine Fülle Von“Tatsachen, isön“ dem erhalten ein Gesamtbild von der politischen Verfaßtheit dieses Landes, der in ihm dominierenden politischen Kultur. Dieses Bild, vom Verfasser m.E. sorgfältig, ohne jede polemische Vereinfachung gezeichnet, ist schlicht niederschmetternd: „Das Volk hat nichts zu sagen“ (S.17 ff); vor allem kann es sein „Königsrecht“, seine Abgeordneten zu wählen, nicht wirklich wahrnehmen. Die Parteien, denen zwei bis drei Prozent der erwachsenen Bevölkerung angehören, haben sich den Staat Untertan gemacht. Es sind auch nicht die Parteien schlechthin, sondern ihre Führungszirkel, diejenigen, die im Grunde „nicht für die Politik, sondern von der Politik leben“, die die eigentliche-Auswahl (über sichere Listenund Wahlkreisplätze) treffen. Es sind „Wahlen ohne Auswahl“

Wer wissen will, was „Parteienfilz“ ist, wie er, geradezu zwangsläufig in diesem politi-

Hans Herbert von Arnim: Staat ohne Diener. Was schert die Politiker das Wohl des Volkes? Kindler Verlag, München 1993. 399 S., geb., 38 DM.

sehen System, zustandekommt und funktioniert - hier erhält er erschöpfende Antwort. Die wichtigsten Stichworte: „Ämterpatronage“, Parteienproporz, der zum Beispiel selbst die Richterstellen zu „Erbhöfen“ der Parteien macht, und nicht zuletzt das erschütternde Bild über Politikfjnanzierung, Parteienfinarizi'eruhg und die wahrlich schamlose finanzielle Selbstbedienung der Abgeordneten. Einen Tag nur muß ein Minister im Saarland im Amte sein, um einen Rentenanspruch von monatlich 13 000 DM zu erwerben. Wobei gerade „die verrücktesten Regelungen der Politikfinanzierung... durchweg auf ausdrücklichen oder stillschweigenden Absprachen von Regierung und Opposition“ beruhen (S.12)

Dieses Buch soll „keine Klage ohne Hoffnung“ sein. Der Verfasser sucht Auswege: Mehr Direktwahlen (bis hin zu den Ministerpräsidenten der Länder), mehr Einfluß der Wähler auf die Kandidatenaufstellung, mehr plebiszitäre Elemente bei politischen Entscheidungen auch in Sachfragen. Die nächstliegende Folgerung in diesen anbrechenden Wahlzeiten ist wohl: Wehe uns, vor allem uns Ostdeutschen, wenn die etablierten Parteien in den Parlamenten unter sich bleiben sollten.

HARRY NICK

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