Riexingers nicht gehaltene Rede

  • Bernd Riexinger
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Vorsitzende der Linkspartei war am Dienstag bei den Protesten Zehntausender in Athen mit dabei. Anders als geplant konnte Bernd Riexinger jedoch nicht zu den Massen sprechen – die Demonstrationen waren verboten worden. Was der Gewerkschafter aus Stuttgart den Kollegen aus Griechenland sagen wollte:
Wir haben unseren Tag mit dem Besuch in einem Athener Kinderkrankenhaus begonnen. Der Chef unserer griechischen Freunde von Syriza, Alexis Tsipras, hat Frau Merkel aufgefordert, dasselbe zu tun. Und vielleicht hätte sie der Aufforderung nachkommen sollen.

Dann hätte sie gesehen, was ich gesehen habe: ein gut organisiertes Kinderkrankenhaus, in dem Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger, Ärztinnen und Ärzte und das Verwaltungspersonal hochmotiviert für das Wohl ihrer kleinen Patientinnen und Patienten sorgen. Und das, obwohl ihr Lohn um 40 Prozent gekürzt wurde, obwohl auf 800 ausgeschiedene Beschäftigte gerade mal acht Neueinstellungen kamen, obwohl immer mehr Menschen in den Notaufnahmen stranden, obwohl das Geld für alles, auch für die notwendigsten Medikamente fehlt, obwohl die Zahl der Pfleger so dezimiert ist, dass sie die Sicherheit der Kinder nicht mehr als gewährleistet ansehen. Merkel hätte dann einen Kinderpsychologen getroffen, der von gehäuften Selbstmordversuchen unter Kindern und Jugendlichen berichtet. Und sie hätte vor allem gesehen, dass in Griechenland fleißige und kompetente Leute im Gesundheitswesen arbeiten, die keine organisatorische Nachhilfe aus Deutschland brauchen sondern eine Lösung für ihr zentrales Problem: die existenzbedrohende Unterfinanzierung des öffentlichen Gesundheitswesens.

Wer das Gesundheitswesen kaputt kürzt, darf sich nicht wundern, wenn die Menschen krank werden. Ich habe heute das Programm in Athen absolviert, das Merkel hätte absolvieren sollen. Ich nehme ihr nicht ab, dass ihr Herz blutet, wenn sie die Leiden der Menschen in Griechenland sieht. Ich frage mich jeden Tag mehr, wo sie ihr Herz eigentlich gelassen hat.


Merkel hat sich stattdessen hinter vielen Reihen von Polizisten und Barrieren mit einer Handvoll Beamten, Ministern und Managern getroffen. Ich finde, es wäre richtig gewesen, wenn sie sich den verzweifelten Menschen gestellt hätte: den Eltern, die nicht mehr wissen, wie sie für ihre Kinder sorgen sollen, den Rentnern, die nicht mehr ihre Stromrechnungen bezahlen sollen, den Jugendlichen, die aus lauter Verzweiflung über fehlende Jobs und Perspektiven ihrer Wut freien Lauf lassen. Merkel hat all das heute nicht gesehen, weil sie es nicht sehen wollte.

Ich bin heute dort, wo Frau Merkel sein sollte, auf dem Athener Syntagma-Platz. Ich bin hier, um ein Zeichen der Verständigung zu setzen. Merkel und ihre Freunde - die Banker, die Spekulanten, die Großaktionäre, die Millionäre und Milliardäre Europas - ihnen allen wäre es das liebste, wenn die Arbeitnehmer und Rentner Europas sich entlang der nationalen Grenzen spalten lassen würden. Meine Botschaft ist eine andere: Solidarität. Es muss in Zukunft selbstverständlich sein, dass Alexis Tsipras in Hamburg auf einer Demonstration für mehr Gerechtigkeit redet und ich in Athen mit Euch gegen die brutalen Kürzungspolitik der Troika protestiere. Es muss solange selbstverständlich werden, bis wir mehr Gerechtigkeit in Europa und ein Ende der zerstörerischen Austeritätsprogramme erreicht haben. Es muss selbstverständlich werden, damit wir all das miteinander erreichen.

Ich sage es immer wieder: Wir sollten alle miteinander mehr Protest in Europa wagen. Merkel und ihre Freunde, Papandreou und Samaras gehören dazu, lasst Euch nicht täuschen - die haben den Karren in den Dreck gefahren, die haben unser Geld im europäischen Bankensumpf versenkt. Jetzt müssen wir miteinander einen Weg aus dem Schlamassel finden. Ich bin sicher, wir werden ihn finden, und wir werden ihn gehen, zusammen!

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