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Als Lokführer nicht links denken durften

Rehabilitation zu Radikalenerlass abgelehnt

  • Hagen Jung, Hannover
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Koalition aus CDU und FDP hat im niedersächsischen Landtag gegen einen Antrag der Linksfraktion zur Rehabilitation der vom Radikalenerlass Betroffenen gestimmt.

Vor 40 Jahren wurde in der Bundesrepublik der sogenannte Radikalenerlass verabschiedet. Seine Folge waren Gesinnungsschnüffelei und Berufsverbot für Menschen, die im öffentlichen Dienst arbeiten wollten. Es sei an der Zeit, die Betroffenen zu rehabilitieren, meinte die Linksfraktion in niedersächsischen Landtag. Doch die Mehrheit aus CDU und FDP lehnte ab.

Zwei Tage bevor das Thema im Plenum behandelt werden sollte, hatten sich vor dem Parlamentsgebäude einige Demonstranten getroffen, denen der Erlass damals Steine in den beruflichen Werdegang gelegt hatte. Die Protestierenden erinnerten daran, wie sie als vermeintliche Radikale zu teils vieljähriger Arbeitslosigkeit verurteilt waren. Sie hatten einen offenen Brief an Ministerpräsident David McAllister (CDU) mitgebracht, in dem sie ihn aufforderten, er möge sich im Landtag für Rehabilitierung und Wiedergutmachung einsetzen.

Abstimmung ohne Aussprache

Dies tat der Regierungschef nicht, und das konnte er auch nicht tun: Die Tagesordnung am Freitag war derart umfangreich, dass über einige Punkte ohne Aussprache abgestimmt wurde - auch über den LINKE-Antrag. SPD und Grüne trugen ihn mit, Schwarz-Gelb sagte Nein zum Rehabilitieren.

Besonders jüngere Menschen auf der Zuschauertribüne mögen es bedauert haben, dass sie nichts über den Erlass hörten, über ein unrühmliches Stück bundesdeutscher Geschichte. Mit verantwortet hatte es 1972 ein Mann, dessen Aufforderung »mehr Demokratie wagen« noch immer gern zitiert wird: Bundeskanzler Willy Brandt (SPD). Doch infolge des Erlasses durfte es der öffentliche Dienst nicht mehr »wagen«, Frauen und Männer zu beschäftigen, die mangelnder Verfassungstreue verdächtig waren. Für solch einen Verdacht genügte die Mitgliedschaft in einer legalen Organisation wie etwa dem Sozialistischen Hochschulbund. Ehe jemand zum Beispiel als Briefträger, Lokführer, Richter oder Lehrer arbeiten durfte, wurde er per »Regelanfrage« beim Verfassungsschutz überprüft. Bis 1991 gab es dieses Verfahren, nach und nach hatten es der Bund und die Länder abgeschafft.

Kritik an der Rolle des Verfassungsschutzes

Formell richtete sich der Erlass gegen »Links- und Rechtsextremisten«. Tatsächlich aber traf er vor allem Mitglieder sozialistischer, kommunistischer und anderer linker Gruppierungen bis hin zu Friedensinitiativen. Durch den Erlass kam es bundesweit zu 11 000 Berufsverbotsverfahren, 2200 Disziplinarverfahren, 1250 Ablehnungen von Bewerbern und 265 Entlassungen. In Niedersachsen mussten sich Bewerber für den öffentlichen Dienst in stundenlangen Befragungen beispielsweise dafür rechtfertigen, dass sie an Demonstrationen teilgenommen oder politische Aufrufe unterzeichnet hatten.

Bereits im Januar 2012 hatte der Landtag über den Erlass diskutiert und über den Wunsch der LINKEN, die Rolle des Verfassungsschutzes kritisch zu betrachten. Die CDU wies dies seinerzeit zurück. Ihre Abgeordnete Angelika Jahns verstieg sich trotz der NSU-Affäre zu dem Lob, der Geheimdienst leiste »hervorragende Arbeit«. Miriam Staude (Grüne) konterte mit Blick auf die Terrorzelle: »Gerade sind Menschen ermordet worden - und der Verfassungsschutz hatte keine Ahnung.«

Nur noch einmal, im Dezember, kommt das Niedersachsen-Parlament vor der Landtagswahl zusammen. Danach wird es womöglich eine erneute Auflage des Antrages zur Rehabilitierung der betroffenen Menschen geben und zur öffentlichen Information und Diskussion über den Radikalenerlass, auch an den Schulen.

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