Die Patienten werden weiterhin benachteiligt

Debatte um den Entwurf des neuen Patientenrechtegesetzes ab 2013

  • Lesedauer: 9 Min.
Die Bundesregierung hat einen Gesetzentwurf zum neuen Patientenrechtegesetz vorgelegt, das ab 1. Januar 2013 in Kraft treten soll. Mit dem neuen Gesetz sollen die Patientenrechte gestärkt, mehr Transparenz und Rechtssicherheit im Hinblick auf die bereits bestehenden Rechte der Patienten hergestellt und deren tatsächliche Durchsetzung verbessert werden.

Unsere Autoren, Rechtsanwältin ANKE PLENER, Fachanwältin für Medizin- und Sozialrecht, und Rechtsanwalt Dr. VOLKER LOESCHNER (beide aus Berlin), waren als Einzelsachverständige am 22. Oktober 2012 in der gemeinsamen Anhörung des Rechtsausschusses und des Ausschusses für Gesundheit des Deutschen Bundestages angehört worden (siehe auch nd-Ausgabe vom 24. Oktober 2012, Seite 16). In ihrem Beitrag für den nd-ratgeber gehen die Autoren auf etliche juristische und praktische Probleme des Gesetzentwurfes näher ein.

Der frühere französische Staatspräsident Charles de Gaulle hat einmal gesagt: »Es ist besser, unvollkommene Entscheidungen durchzuführen, als beständig nach vollkommenen Entscheidungen zu suchen, die es niemals geben wird.« So gesehen ist es zu begrüßen, dass die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorgelegt hat, mit dem Patientenrechte gestärkt werden sollen. Doch diesem Anspruch wird der vorliegende Gesetzentwurf nur teilweise gerecht.

Zwar ist es gelungen, in Teilbereichen die bestehende Rechtsprechung zu Aufklärungs- und Informationsrechten sowie zu Beweiserleichterungen gesetzlich zu kodifizieren, dem Gesetzgeber fehlte indes der Mut zu weitreichender Rechtsentwicklung.

Behandelnder und Patient nicht auf Augenhöhe

Im privatrechtlichen Behandlungsvertrag begegnen sich Behandelnder und Patient regelmäßig nicht auf Augenhöhe. Im Vergleich zum Patienten verfügt der Behandelnde über einen enormen Wissensvorsprung. Er hat eine weit bessere Kenntnis von allgemeinen und konkreten Behandlungsabläufen.

Ziel medizinischer Aufklärung ist daher, den Patienten zu einer selbstbestimmten Entscheidung zu befähigen. Er muss Risiken und Folgen der Behandlung kennen. Der Behandelnde ist es auch, der über eine bessere Kenntnis darüber verfügt, ob eine Leistung in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkasse fällt oder nicht. Er weiß, ob der Patient diese Leistung erhält oder sie selber zahlen muss. Dies gilt selbst für Privatpatienten, soweit es um Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) geht.

Der Gesetzentwurf sieht daher folgerichtig eine wirtschaftliche Informationspflicht zu Beginn (leider nicht »vor Beginn«) der Behandlung vor. Allerdings hält der Gesetzentwurf die Textform für ausreichend.

Ein in der Praxis ausgelegter Flyer, der den Behandelnden als Aussteller erkennen lässt, erfüllt daher das Textformerfordernis. Eines mündlichen Gesprächs bedarf es nicht, was zu kritisieren ist. Setzt der Gesetzgeber den Gesetzentwurf um, nimmt er die jetzt schon bestehende Realität weiter in Kauf, nach der Patienten am Tresen einen Flyer erhalten, in die IGeL-Leistung einwilligen und erst dann den Behandelnden sehen.

An folgendem Beispiel lässt sich deutlich machen, was das in der Praxis bedeutet: Der Patient geht zum Augenarzt. Besteht ein begründeter Verdacht auf ein Glaukom (»Grüner Star«), werden die diagnostischen Maßnahmen von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen. Wird eine reine Vorsorgeleistung erbracht, handelt es sich um eine individuelle Gesundheitsleistung, für die der Behandelnde dem Patienten direkt eine Rechnung stellt.

Angesichts der zunehmenden Kommerzialisierung des Gesundheitswesens gewinnt die wirtschaftliche Aufklärung zunehmend an Bedeutung. Die Autoren haben daher bei der Anhörung vorgeschlagen, das mündliche Gespräch mit dem Patienten in den Mittelpunkt zu rücken und ein Schriftformerfordernis zu statuieren. Behandelnder und Patient treffen dann eine zu unterzeichnende Vereinbarung über die zusätzlich zu erbringende Leistung.

Aufklärung in verständlicher Sprache - Kosten an Patienten

Der vorliegende Gesetzentwurf bezieht sich auf eine Querschnittsmaterie, weshalb auch sozialrechtliche Gesichtspunkte eine Rolle spielen. Nach dem Willen der Bundesregierung soll die Aufklärung in verständlicher Sprache erfolgen. Dies ist ausdrücklich zu begrüßen.

In ihrer Gesetzesbegründung weist die Bundesregierung jedoch die Kosten dem Patienten zu, obwohl die Aufklärung Aufgabe des Behandelnden ist. Zwar regelt § 17 Abs. 2 Sozialgesetzbuch I (SGB I) bei ärztlicher Behandlung die Kostenübernahme für Menschen mit Hörbehinderung, nicht aber für Menschen mit anderen Behinderungen oder gar Menschen mit Anspruch auf Grundsicherung nach dem SGB II beziehungsweise SGB XII. Für privat Versicherte wurde gar keine Regelung vorgeschlagen.

Es kann nicht sein, dass die Notwendigkeit einer ärztlichen Behandlung dazu genutzt wird, um Druck auf Menschen mit Migrationshintergrund auszuüben, die inländische Sprache zu erlernen und die Unterlassung quasi zu sanktionieren. Die Autoren haben daher ausdrücklich die Vorschläge bei der Anhörung unterstützt, die einen kostenlosen spezialisierten Dolmetscherdienst für solche Fälle fordern.

Die Beweislastverteilung in einem Prozess problematisch

Ein weiteres Kernthema des Gesetzentwurfes ist die Beweislastverteilung im Prozess. Es handelt sich um die Antwort auf die Frage, wer vor Gericht beweisen muss, dass alle Tatsachen für einen Anspruch erfüllt sind. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass der Patient dem Behandelnden nicht auf Augenhöhe begegnet. Dies hat auch der Bundesgerichtshof erkannt und Beweiserleichterungen geschaffen, um »Waffengleichheit« herzustellen, was nun kodifiziert wird.

Ein Beispiel: Der Patient muss an sich beweisen, welcher Fehler dem Behandelnden unterlief und wie er kausal zum Schaden führte. Im Gesetzentwurf heißt es, es spreche eine Vermutung für einen Behandlungsfehler, wenn es der Behandelnde unterließ, einen medizinisch gebotenen Befund rechtzeitig zu erheben oder zu sichern und dieser Befund mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Ergebnis erbracht hätte, das Anlass zu weiteren Maßnahmen gab.

Der Befunderhebungsfehler ist ein Fall, bei dem es zur sogenannten Beweislastumkehr kommt. Normaler Weise hätte der Patient zu beweisen, dass die Verletzungshandlung auch für den Schaden kausal wurde. Im Fall unterlassener Befunderhebung gibt es aber gerade keine Diagnosen. Deshalb kann der Patient auch keinen Befund als Beweis vorlegen und würde an sich den Prozess verlieren. Hier trifft den Patienten eine Beweiserleichterung. Der Behandelnde muss nun beweisen, dass ihm kein Fehler unterlief. Weil der Behandelnde die entscheidenden Beweise nicht gesichert hat, gewinnt der Patient den Prozess.

Recht auf Einsichtnahme in Behandlungsunterlagen

Der Gesetzgeber kodifiziert jetzt auch einen weiteren Anspruch, den die Rechtsprechung dem Patienten längst zugesteht: das Recht auf Einsichtnahme in die Behandlungsunterlagen. Er verlangt weiter, dass nachträgliche Änderungen in der Dokumentation kenntlich zu machen seien. Auch soll die Fälschungssicherheit ein Stück weit geregelt werden. Der ursprüngliche Inhalt der Patientenakte soll auch nach Veränderung erkennbar bleiben. So verschwinden »alte Texte« nicht vollständig.

Im Arzthaftungsprozess wird der Nachweis eines Fehlers regelmäßig mit der ärztlichen Dokumentation geführt. Viele Patientenanwälte können beschreiben, dass nachträgliche Streichungen, Einfügungen oder gar komplette Neufassungen der Patientenakte häufig auffallen. Während auf dem Papier andere Handschriften und Einfügungen beim ersten Eindruck ins Auge stechen, lässt sich eine EDV-Dokumentation beliebig verändern.

Im Gesetzentwurf der Bundesregierung wird jedoch das Entscheidende offen gelassen: Der Entwurf regelt nicht, auch die Person kenntlich zu machen, die die Änderung vornimmt. Um aber den Behandlungsablauf nachvollziehen zu können, ist die Angabe der Person des Behandelnden erforderlich.

Der Patient muss ersehen können, welche Qualifikation sein Behandelnder hat und gegen welchen Behandelnden er seine Forderungen richten muss. Um eine beweissichere elektronische Dokumentation zu erreichen, haben die Autoren bei der Anhörung gefordert, das Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur des Behandelnden zu versehen. Hierdurch wird die Person des Behandelnden deutlich, erfolgte Änderungen werden mit Datum, Uhrzeit und Signatur dokumentiert.

Neu: Abschriften sind sofort den Patienten auszuhändigen

Eine weitere neue Regelung wird im Gesetzentwurf getroffen: Dem Patienten sind Abschriften von Unterlagen, die er im Zusammenhang mit der Aufklärung oder Einwilligung unterzeichnet, auszuhändigen. Erstmals bestünde die Verpflichtung, dem Patienten von ihm unterzeichnete Formulare auch sofort auszuhändigen. Entscheidend ist für die Aufklärung das mündliche Gespräch mit dem Patienten. Formulare können indes wichtige Hilfstatsachen dafür darstellen, ob dieses Gespräch auch tatsächlich stattfand. In der Praxis wusste der Patient bisher nicht immer, was er letztendlich unterschrieben hat, da er keine Kopie erhielt.

Die Patienten werden in einem weiteren wesentlichen Punkt, nämlich dem der Erlangung eines Gutachtens, das die Durchsetzbarkeit von Ansprüchen sichern soll, unterstützt: Zukünftig »soll« die gesetzliche Krankenkasse ihre Patienten bei der Verfolgung von Schadenersatzansprüchen unterstützen. Bisher war die entsprechende Regelung in § 66 SGB V als »Kannregelung« ausgestaltet.

Dies bedeutet zukünftig in der Praxis, dass die gesetzlichen Krankenkassen ihre Versicherten im Normalfall mit kostenlosen Gutachten unterstützen müssen. Den Autoren geht diese Regelung aber nicht weit genug. Sie plädieren für eine zwingende Regelung, die keine Ausnahme zulässt. Ferner vertreten sie die Ansicht, auch privat Versicherte entsprechend zu unterstützen, was über eine gesetzliche Änderung im Versicherungsvertragsgesetz erfolgen sollte.

Behandlungsfehler und Selbstbezichtigungsklausel


Ausgesprochen kritisch ist zu betrachten, dass der Gesetzgeber den Behandelnden verpflichten will, dann, wenn für ihn Umstände erkennbar sind, die die Annahme eines Behandlungsfehlers begründen, den Patienten auf Nachfrage oder zur Abwendung von Gesundheitsgefahren über den Behandlungsfehler zu informieren.

Zwar wäre eine Atmosphäre zu begrüßen, in der Behandelnde eigene Fehler eingestehen, ohne dass das Vertrauensverhältnis zum Patienten Schaden nimmt. Hierfür müssen indes Rahmenbedingungen gesetzt werden. Sie werden mit dem bisherigen Gesetzentwurf jedoch nicht geschaffen.

Rechtlich handelt es sich bei dieser Selbstbezichtigungsklausel um die Durchbrechung des Grundsatzes, nach dem sich niemand bei drohender Strafverfolgung selbst bezichtigen muss. Jeder Behandlungsfehler kann aber das Risiko einer Strafverfolgung wegen fahrlässiger Körperverletzung nach sich ziehen. Informiert der Behandelnde über den Behandlungsfehler, setzt er sich somit automatisch der Strafverfolgung aus.

Das Bundesverfassungsgericht lässt eine Durchbrechung des sogenannten »nemo-tenetur«-Grundsatzes nur ausnahmsweise zu. Erlaubt ist eine Auskunft, wenn sie nicht gegen den Willen des Beschuldigten in einem Strafverfahren verwendet werden darf und mit einem strafrechtlichen Verwertungsverbot einhergeht.

Zwar statuiert der jetzige Gesetzentwurf ein solches relatives Beweisverwertungsverbot, er lässt aber bislang unberücksichtigt, dass dieses unzureichend ist, um die offen legenden Behandelnden zu schützen. Der Patient nämlich kann jederzeit als Zeuge der Anklage gehört werden.

Es erscheint daher unverhältnismäßig, den »nemo-tenetur«-Grundsatz zu durchbrechen. Dies wird die Behandelnden hindern, offen mit erkannten Fehlern umzugehen. Viel entscheidender ist zudem, dass es sich bei dem Begriff »Behandlungsfehler« um einen unbestimmten, auslegungsbedürftigen Rechtsbegriff handelt.

Der Behandelnde muss eine Bewertung seiner eigenen Handlung vornehmen, die er rechtlich oft nicht einschätzen kann. Eine Offenbarungspflicht von Tatsachen ohne die Abgabe rechtlicher Wertungen, erscheint aber vertretbar.

Die Autoren haben auf der Anhörung daher vorgeschlagen, eine Informationspflicht über Komplikationen während der Behandlung beziehungsweise des Eingriffs zu regeln.

Den Behandelnden hindert noch ein weiterer Grund, die von ihm ethisch erwarteten Informationen zu geben: seine Haftpflichtversicherung. Erkennt er nämlich an, einen Fehler begangen zu haben, droht er, seinen Versicherungsschutz zu verlieren und muss für den entstandenen Schaden persönlich einstehen. Damit wäre dem Patienten auch nicht geholfen.

Zahlreiche Pflichtverstöße im Entwurf sanktionslos


Ob das jetzt ausformulierte Gesetz, das sicherlich etwas mehr Rechtssicherheit und Transparenz im Behandlungsverkehr schafft, ausreicht, um die Patientensicherheit zu gewährleisten, wird sich zeigen.

Auffällig ist, dass im Gesetzentwurf der Bundesregierung zahlreiche Pflichtverstöße sanktionslos bleiben: Dies gilt für die Selbstbezichtigungsklausel ebenso wie für das Textformerfordernis der wirtschaftlichen Aufklärung und für die Verweigerung der Einsichtnahme in die Dokumentation beziehungsweise den fehlenden Nachweis der Fälschungssicherheit einer EDV-Software bei der Erstellung einer Dokumentation.

Zu mehr Patientensicherheit führt das wohl eher nicht. Der vorliegende Gesetzentwurf ist daher leider nur ein unvollkommener Versuch, Patientenrechte zu stärken. Aber er ist immerhin ein Anfang …

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