Der taumelnde Senat

Nach nur einem Jahr in der Regierung ist Rot-Schwarz schwer angeschlagen

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Szene ist symptomatisch. »Von politischer Verantwortung versteht er nichts, Aufklären will er nicht, den Willen dazu hat er auch nicht, mangelnde Transparenz usw.« Plötzlich liegen an diesem Montag im Parlamentsausschuss bei Innensenator Frank Henkel (CDU) die Nerven blank. Denn mit »er« meint Henkel sich selbst. In Richtung Opposition im Abgeordnetenhaus erwidert er dazu pampig: Seit vier Wochen würde sie dieselbe Folie auflegen. Keine Frage, der selbst ernannte »Aufräumer« Henkel ist angeschlagen. Offensichtlich setzt ihm auch das mediale Trommelfeuer gegen seine Person zu, er habe seine Behörde nicht im Griff, und sei mit seinem Job als Senator total überfordert.

Fast genau vor einem Jahr unterschrieben SPD und CDU in Berlin ihren Koalitionsvertrag. Es sollte ein Bündnis der Stabilität werden, ein Projekt, um die »Herausforderungen der Zukunft« anzupacken. Davon ist bisher wenig zu sehen. Im Gegenteil: Denn nicht nur der massige Frontmann der CDU, Innensenator Frank Henkel, wankt unter den massiven Schlägen der NSU-V-Mann-Affäre und dem Aktenschredderskandal beim Berliner Verfassungsschutz.

Mindestens genauso angezählt ist auch die tragende Säule des rot-schwarzen Senats schlechthin: der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD). Das Desaster um den Großflughafen in Schönefeld erwischt Wowereit immer wieder wie ein Bumerang. Kaum, dass Hoffnung keimt, dass das Milliardengrab BER tatsächlich in Betrieb geht, musste er in den vergangenen Monaten neue Hiobsbotschaften verkünden. Ob der BER-Eröffnungstermin im Herbst 2013 zu halten ist, bleibt weiter unsicher. Der früher so beliebte Regierende Bürgermeister ist in den persönlichen Umfragewerten abgestürzt.

Der rot-schwarze Senat wirkt wie ein taumelnder Boxer im Ring. Scheint es, dass er sich wieder aufrafft, prasseln auf ihn bereits die nächsten Wirkungstreffer ein. Jüngst Getroffener ist der Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos, für SPD). Selbst in der SPD-Fraktion wird seine Personalpolitik bei den öffentlichen Unternehmen kritisch gesehen. Zu allem anderen Ungemach droht jetzt auch noch eine Filz-Affäre hinzuzukommen.

Wie lange kann eine Regierung, deren Pfeiler wanken und die überdies in nur einem Jahr bereits zwei Senatoren verbrannt hat, weitermachen? Wie lange kann sich Rot-Schwarz noch auf den Beinen halten? Im politischen Berlin werden diese Fragen seit geraumer Zeit kontrovers diskutiert. Auch heute im Abgeordnetenhaus, wenn es wieder um die NSU-Affäre geht, wird natürlich auch die Leistungsbilanz des Senats Thema sein. So verschieden die Analysen sind, in einem Punkt sind sich fast alle Beobachter einig: Fällt Frank Henkel, reißt er die gesamte Koalition mit sich. Denn wer sonst könnte die CDU zusammenhalten? Jene Partei, die in der Hauptstadt jahrelang die Formel »Freund - Feind - Parteifreund« auszeichnete. Und die der politische Gegner als eine Ansammlung von »Warlords« charakterisiert.

Auch wenn CDU und SPD kein Interesse an Neuwahlen haben und ein »kalter Regierungswechsel« zu Rot-Grün nach den übel gescheiterten Koalitionsverhandlungen auszuschließen ist. Die oppositionelle Linkspartei glaubt dennoch, dass der derzeitige Niedergang der Senatskoalition ein Prozess ist, bei dem sich auch schnell eine kritische Masse von Skandalen bilden könnte. »Wenn wir nur eine Sekunde so regiert hätten, hätten sie uns aus der Stadt hinausgejagt«, ist sich der Fraktionsvorsitzende der LINKEN, Udo Wolf, sicher. Seine Prognose: »Rot-Schwarz wird nicht bis zum Ende durchhalten.« Schließlich würden nach BER- und NSU-Skandal erst die wirklichen sozialen Probleme der Stadt auf den Senat zukommen: Die rasant steigenden Mieten etwa, die immer mehr die Einkommen der Berliner auffressen. Oder die stagnierenden Leistungen der Jobcenter.

Auch das Urteil der Grünen zur einjährigen Bilanz des Senats fällt vernichtend aus: »SPD und CDU regieren schlecht, weil sie sich nicht um die Belange der Stadt kümmern, sondern sich nur um sich selbst drehen«, urteilt Grünen-Fraktionschefin Ramona Pop. »Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit ist ausgelutscht und hat keine Lust mehr, bei Innensenator Frank Henkel ist der Lack ab«, so die Grünen-Co-Vorsitzende Antje Kapek.

Bei so einem taumelnden Senat, hat die Opposition einfaches Spiel. Sie muss allerdings aufpassen, die strauchelnden Protagonisten nicht zu sehr zusammenzuschweißen. Schließlich sind Wowereits Steherqualitäten bekannt, und ohne Kampf wird er den Ring sowieso nicht räumen.

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