Die eigene Stimme erheben

Antennen auf dem Land mit großer gesellschaftlicher Bedeutung: Ein Besuch bei Gemeinderadios in Bolivien und Honduras

  • Thomas Guthmann (Bolivien) und Jutta Blume (Honduras)
  • Lesedauer: 7 Min.
Freie Radios in Bewegung: In Lateinamerika sind freie, kommunale Radios ein wichtiges Instrument für Gemeinden und soziale Bewegungen zur Übermittlung von Informationen und politischen Meinungsbildung. Auch in vielen bundesdeutschen Städten existieren Freie Radios als Teil der Gegenöffentlichkeit. Das Internet hat die Möglichkeiten erweitert. nd-Autoren berichten über Radios aus Bolivien und Honduras.

Bolivien:

Von Thomas Guthmann
Der Titicaca-See liegt nur gut zwei Autostunden von der Millionenstadt El Alto entfernt. Trotz der Nähe zum größten Ballungsgebiet Boliviens macht die Gegend bereits einen ländlichen Eindruck, bevor man El Alto verlässt. Die Stadt fließt ins Land über. Man taucht langsam vom urbanen Raum in die Kargheit des Hochlands ein. Die 4000 Meter hoch gelegene Ebene, das Altiplano, erscheint versteppt und fast menschenleer. Am frühen Morgen habe ich mich Richtung Titicaca-See aufgemacht, um kleine Gemeinderadios, von denen es in Bolivien Hunderte gibt, zu besuchen. Die Suche führt mich von Ort zu Ort. Mal klopfe ich an Klinkerbauten, mal an Lehmhäuschen. Zumeist sind die Stationen mit Metalltüren verrammelt. Auf den Häusern sieht man Holzpfähle, an denen die Antenne festgeklebt ist. Sie sind oft das einzige Zeichen, dass es sich hier um eine Radiostation handelt.

Erst um die Mittagszeit werde ich am Ufer des Titicaca-See fündig. Radio Altitud liegt einen Steinwurf vom Ufer des größten und heiligen Sees Boliviens entfernt. Es gehört zur Gemeinde Achacachi. Hier treffe ich auf den Direktor Eduardo Mamani. Das Radio ist im Augenblick nicht auf Sendung. »Wir senden nur am Morgen drei Stunden und dann am Abend noch einmal«, erklärt mir Mamani, während er die blaue Metalltür aufschließt und mich ins Studio lotst. Ich habe Glück, dass ich ihn antreffe. Denn tagsüber ist er normalerweise auf Arbeit. Mamani betreibt in El Alto einen Buchhandel.

Auf Sendung: »Die Stimme der Frau«

»Viele Radios«, so fährt er fort, »werden ehrenamtlich betrieben, daher sind wir tagsüber nicht auf Sendung, sondern auf der Arbeit.« Es wird klar, warum ich bisher nie jemand angetroffen habe. Im Studio sitzt Hortensia Oynapac. Sie ist die Moderatorin bei Radio Altitud. Die junge Frau arbeitet als Fischerin. »Ich bin mehr durch Zufall zum Radio gekommen«, erzählt sie, als sie das Studio zeigt, »ein Cousin von mir arbeitete mit Don Eduardo zusammen. Aus Spaß sagte ich, lass mich doch auch moderieren.«

Nach anfänglichen Bedenken zeigte der Vetter seiner Cousine, wie man Radio macht, »drei Monate schaute ich ihm über die Schulter, dann konnte ich es alleine«, fährt sie fort. Heute moderiert sie die Nachrichten und hat eine eigene Sendung, die »Die Stimme der Frau« heißt. Sie sendet in Aymara, einer Sprache, die um den See weit verbreitet ist.

Radio Altitud sendet, wie die meisten Radios auf dem Land, nur für ein Dorf. »Ein Radio Comunitaria muss sich mit der Gemeinde abstimmen. Das heißt, wir müssen den Bedürfnissen der Gemeinde entsprechen und uns danach richten«, meint der Direktor Mamani. Das Radio sendet Nachrichten von Festen der Gemeinden, auch private Aufrufe zu Familienfeiern oder andere Anzeigen werden von den Radiomachern über den Äther geschickt. Dazu kommen Berichte über das Dorfleben und über die Landwirtschaft. Hortensia thematisiert in ihrem Programm die Situation der Frauen in der Gemeinde.

Lange Zeit lebten die kleinen Radios im Schatten der großen kommerziellen Medien. Sie sendeten ohne Erlaubnis. Das hat sich mit dem Machtantritt von Evo Morales geändert. Seit 2011 gibt es ein neues Mediengesetz. Knapp 20 Prozent der Frequenzen sind dort für die Gemeinderadios reserviert. Sender wie Radio Altitud profitieren davon. Sie wurden damit offiziell aufgewertet. Und durch die Legalisierung ist die Existenz der nicht-kommerziellen Programme für die kommenden Jahre sichergestellt.

Honduras:

Von Jutta Blume
»Herzlich willkommen zu unserem heutigen Noti Bimetu.« Der 59-jährige Alfredo López sitzt in dem kleinen Studio des kommunitären Radiosenders Faluma Bimetu (Süße Kokosnuss) an der honduranischen Atlantikküste. Vor ihm liegen nur ein paar Notizen, seine mittägliche Nachrichtensendung spricht er frei ins Mikrofon. Die Sendung beginnt er mit dem Wetterbericht und Terminankündigungen: Bei der wöchentlichen Nachbarschaftsversammlung in Triunfo de la Cruz wird man über das Wiederaufforstungsprojekt der Gemeinde sprechen. Und in einigen Tagen wird es ein Treffen mit Agrarminister Cesar Ham geben, bei dem es um das allgegenwärtige Thema der afroindigenen Bevölkerung gehen soll: die Frage nach den kollektiven Landtiteln für die Garífuna-Gemeinden an der Atlantikküste, zu denen auch Triunfo de la Cruz gehört. Privatleute und -unternehmen haben sich über die vergangenen Jahrzehnte Ländereien der Garífuna angeeignet, die seit über 200 Jahren an der honduranischen Küste leben und den Privatbesitz von Land ablehnen.

Indigene Kämpfe gegen den Landraub

Die daraus hervorgehenden Landkonflikte, in Triunfo de la Cruz vor allem durch große Tourismusvorhaben ausgelöst, waren der Grund, warum die Einwohner des Ortes und die Garífuna-Organisation OFRANEH (Organizacion Fraternal Negra Hondureña) 1995 entschieden, dass sie einen eigenen Radiosender bräuchten. »Wenn wir einen Sendeplatz im kommerziellen Radio kauften und man dort merkte, worum es bei unserem Programm ging, wurde uns der Sendeplatz verweigert«, erzählt Alfredo López, der heute Direktor von Faluma Bimetu ist. Die kommerziellen Sender und Zeitungen des Landes befinden sich von jeher in der Hand weniger Familien - derselben Familien, die auch über große Ländereien verfügen und zur politischen Elite des Landes gehören.

Faluma Bimetu konnte 1997 tatsächlich zum ersten Mal auf Sendung gehen, López saß damals jedoch noch nicht vor dem Mikrofon, sondern vor seinem Kofferradio im Gefängnis. Unter der falschen Anschuldigung des Drogenbesitzes blieb er sieben Jahre lang eingesperrt, bis er schließlich auf Druck der Interamerikanischen Menschenrechtskommission freigelassen wurde. Hintergrund für seine Inhaftierung war sein Engagement gegen das Tourismusprojekt »Marbella«, für das sich die Investoren kollektives Gemeindeland angeeignet hatten. Heute ist Marbella eine große Brachfläche an der Hauptstraße von Triunfo, das internationale Gerichtsverfahren um das Grundstück läuft noch immer.

Der Sender Faluma Bimetu und die RadiomacherInnen können sich aber keineswegs in Sicherheit wähnen. 2010 wurde zunächst ein Brandanschlag auf den Sender verübt, einige Monate später zündeten Unbekannte das Haus von López' Familie an. Die Täter wurden nicht gefasst. Trotzdem haben die Leute heute weniger Angst, im Radio frei heraus ihre Meinung zu sagen, als noch in den 90ern, meint López. Und auch der Putsch von 2009 habe nur den Wunsch nach einem grundlegenden politischen Wandel befördert.

Faluma Bimetu hat wie die meisten kommunitären Radios in Honduras keine offizielle Sendelizenz, denn faktisch ist es unmöglich, bei der Rundfunkbehörde eine solche zu bekommen. OFRANEH beruft sich auf das von der UNO verabschiedete Recht der indigenen Völker, Medien in der eigenen Sprache zu unterhalten. Entlang der Küste betreibt OFRANEH inzwischen fünf Radiostationen.

Wichtig ist es der Organisation, die Radios auch in abgelegenen Orten zu installieren, da gerade dort der Zugang der Bevölkerung zu unabhängiger Information nicht gegeben ist. So sendet »Brisas del Mar« (Meeresbrise) in dem kleinen Ort Punta de Piedra nur zwei Stunden am Tag mit Solarstrom. Ein weiteres neues Radio ist im abgelegenen Osten des Landes geplant. Dort soll es vor allem darum gehen, die Interessen der Bevölkerung gegen die immer mehr an Einfluss gewinnende Drogenmafia zu stärken.

Soziale Themen und gesundheitliche Aufklärung

Bei den Radioprogrammen der Garífuna geht es allerdings nicht nur um Landrechte. Es ist ein Weg, Sprache und Kultur der Garífuna zu bewahren und junge Leute in die Gemeinden einzubinden. Denn häufig wandern diese zum Studieren und Arbeiten in die Städte und ins Ausland ab. »Wir machen die Sendung: ›Was Jugendliche fragen‹«, erzählt die 17-jährige Muni, »wir sprechen über Gesundheitsthemen, Werte, soziale Themen.« Respekt vor den Älteren und untereinander, Partnerschaftsfragen oder AIDS-Prävention - Muni und ihre jugendlichen KollegInnen planen selbst die Themen, über die sie auf Spanisch und Garífuna mit ihren HörerInnen diskutieren. Allerdings wird Muni schon bald wieder zum Studium fortgehen müssen. Aber am Radionachwuchs mangelt es nicht, meint Alfredo López: »Wir sind ständig dabei, neue Leute auszubilden.«
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