Friedlichere Verhältnisse in Mexiko?

Luis Hernández Navarro über den Wechsel im Präsidentenamt und Auswirkungen auf den Drogenkrieg

  • Lesedauer: 3 Min.

nd: Am 1. Dezember übernimmt Enrique Peña Nieto von der Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) in Mexiko das Präsidentenamt. Viele hoffen, dass die ehemalige Staatspartei besser mit der Mafia verhandeln und einen Rückgang der Gewalt erreichen kann. Ist das realistisch?
Navarro: Die PRI hat angeboten, die alte Ordnung wieder herzustellen. Ich halte das nicht für ausgeschlossen. Die Partei arbeitete, als sie den Präsidenten stellte, eng mit den Kartellen zusammen, die illegalen Geschäfte liefen ohne solche gewalttätigen Exzesse, wie wir sie jetzt erleben. Das war in der 71-jährigen Regierungszeit der PRI bis 2000 so und es gilt in manchen Regionen bis heute.

Allerdings macht Peña Nieto nicht den Eindruck, dass er mit der Politik seines Vorgängers Felipe Calderón brechen will. Auch er setzt auf ein militärisches Vorgehen gegen die Kartelle. Möglicherweise will er die Soldaten durch hochgerüstete Bundespolizisten ersetzen ...
… und zudem hat er den ehemaligen kolumbianischen Polizeichef Oscar Naranjo als Berater unter Vertrag genommen. Naranjo zählt zu den zentralen Figuren im Kampf gegen den Drogenzar Pablo Escobar, er arbeitete, eng mit der US-amerikanischen Drogenbehörde DEA zusammen. Ich nehme an, Peña Nieto hat diese Entscheidung auf Washingtons Rat getroffen. Die USA machen Druck, damit er Calderóns Linie weiterverfolgt.

Also doch keine friedlicheren Verhältnisse?
Die Frage ist, ob es ein Zurück gibt, ob die Bedingungen für eine Verständigung mit den Kartellen nicht irreversibel zerstört wurden. Im Zuge des Krieges wurden viele wichtige Kapos (Drogenbosse) getötet. Die nachgekommen sind, zeigen sich wilder als ihre Vorgänger. Sie haben weniger Erfahrung und müssen, um ihre Einflusszonen zu verteidigen, noch mehr Gewalt anwenden. Es ist einfacher, eine alte Ordnung wiederherzustellen, wenn man zwei oder drei statt vieler Ansprechpartner hat. Heute weiß man nicht mehr, mit wem man verhandeln soll.

Parlament und Regierung haben in der vergangenen Legislaturperiode mehrere Gesetzesinitiativen ins Leben gerufen, um die Menschenrechtslage zu verbessern. Es gibt ein Gesetz zum Schutz von Journalisten und Menschenrechtsverteidigern, ein Opfergesetz ist im Gespräch. Was hat das gebracht?
Das vom Parlament abgesegnete Opfergesetz wurde von Calderón boykottiert und musste deshalb überarbeitet werden. Nun steht es zwar erneut auf der Tagesordnung, doch bedeutende Kräfte wie die Friedensbewegung bezweifeln, dass es noch viel bewirken kann. Die Angriffe auf Menschenrechtsverteidiger, Journalisten und Aktivisten können nicht durch Gesetze gestoppt werden. Das Problem ist die Straflosigkeit und der fehlende Willen, für Gerechtigkeit zu sorgen.

Die Studentenbewegung »Yo soy 132« spielte vor den Wahlen mit ihrer Kritik an Peña Nieto und den Medienkonzernen eine wichtige Rolle. Hat sie eine Zukunft?
Ich denke ja. Manche haben erklärt, diese Bewegung werde nach den Wahlen verschwinden, doch sie lebt weiter. Ein deutliches Zeichen dafür ist es, dass am 2. Oktober viele Universitäten und andere Hochschulen geschlossen waren und tausende Studentinnen und Studenten auf die Straße gingen. An diesem Tag wurden 1968 mehrere hundert Studierende von Soldaten erschossen. Diese Bewegung hat sich sehr intensiv mit Calderóns Amtszeit auseinandergesetzt und sucht nach neuen Wegen. Die Leute sind sehr kreativ und wollen keine politischen Parteien mehr. »Yo soy 132« ist unter den Jugendlichen angesagt.

Worin bestehen die größten Herausforderungen für die linken Bewegungen?
Sie werden sich auf neue Konfrontationen gefasst machen müssen. Die geplante Justizreform wird sich gegen Oppositionelle richten, die Menschenrechtslage wird sich noch weiter verschlechtern. Zudem will die Regierung den Erdölsektor privatisieren. Auch eine Arbeitsreform, die Arbeiter weiter prekarisiert und Gewerkschaftsrechte abbaut, ist auf dem Weg. Die Bewegungen werden ein einheitliches Projekt brauchen, um sich gegen solche Reformen stellen zu können.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal