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Filmische Wertschöpfungskette

Das Filmfestival Berlinale stellt ihr neues Drehbuch-Stipendiatenprogramm vor

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 4 Min.

In einer gut besuchten öffentlichen Veranstaltung im Kino Arsenal in der Potsdamer Straße wurde am Montagabend der erste Stipendiaten-Jahrgang des Berlinale Residency-Programms eingeführt.

Der Abend begann mit ein paar launigen Worten des Berlinale-Chefs Dieter Kosslick zu Sinn und Zweck des Stipendiaten-Programms, die die im weiteren Verlauf des Abends vorgebrachten Absichtsbekundungen anderer Mitträger der Initiative zu politisch korrekten Phrasen degradierte. Wenn man alle bestehenden Förderprogramme der Berlinale inklusive der neuen Berlinale Residency noch hundert Jahre fortführe, verkündete Kosslick mit visionärem Blick auf eine strahlende (wenn auch vielleicht etwas inzestuöse) Berlinale-Zukunft, dann könne man sich am Ende als reines Familienunternehmen vom sonstigen Geschehen im Weltkino unabhängig machen und das Berlinale-Programm vollständig aus den Reihen der geförderten Filmemacher rekrutieren.

Ein Ausblick, der schaudern macht. Kosslick aber zog weiter. Seine Stipendiaten und das geduldige Publikum überließ er den fähigen Händen und der englischsprachigen Moderation von radioeins-Filmkritiker Knut Elstermann. Der beförderte die sechs anwesenden Stipendiaten flugs von »Content Providern« der Berlinale wieder zu eigenständigen Künstlern und Hoffnungsträgern für die Zukunft des Weltkinos. Und ließ dann doch erst mal die einheimischen Institutionenvertreter zu Wort kommen, die die Berlinale-Stipendiaten betreuen und finanzieren: vom Medienboard Berlin-Brandenburg über Media Mundus, eine EU-finanzierte globale Vernetzungsagentur für Filmschaffende, bis zur Talentschmiede des Nipkow-Programms.

Von ihnen erfuhr man, dass die sechs Stipendiaten 1500 Euro im Monat erhalten, vier Monate lang, von Anfang September bis Weihnachten. Dazu eine individuelle Betreuung beim Drehbuchschreiben durch bezahlte Mentoren, einen Intensivkurs in Sachen Produktion, Marketing und Verleih und weitere Hilfe beim Koproduktionsmarkt während der Berlinale, um etwaige Finanzierungslücken zu schließen. Nur ihre Unterkunft müssen sie sich selbst besorgen.

Dass eine solche Unterstützung eine gewisse Rückbindung an das Festival mit sich bringt, ist mit ein Grund, warum viele große Filmfeste längst ähnliche Programme haben. Das Residency-Programm führt innerhalb der filmischen Wertschöpfungskette konsequent fort, was in der globalen Nachwuchsförderung des Berlinale Talent Campus seinen Anfang hat. Weiter geht diese mit Koproduktionsmarkt und der Produktionsförderung für finanzschwache Drittländer durch den World Cinema Fund. Diese Kette gipfelt nun in den sechs jährlichen Stipendien zur Drehbuchentwicklung, die sich an schon arriviertere Regisseure richten, die mit je mindestens einem Film im Programm der großen Filmfestivals bereits vertreten waren.

Die ersten sechs Berlinale-Gäste, deren Anträge von einer internationalen Jury positiv beschieden wurden, stammen aus Israel, Iran, Chile, von den Philippinen, aus Irland und den Niederlanden. Der Iraner Rafi Pitts hatte sicher den gewichtigsten Grund, seine Begeisterung über das Stipendienprogramm gleich mehrfach zu betonen. Mit dem Film »The Hunter« (Zeit des Zorns), der 2010 im Wettbewerb der Berlinale lief, hatte er einen so ausgesprochen regimekritischen Film gedreht, dass er bis auf weiteres nicht in den Iran zurückkehren kann. Für ihn als Exilanten sind Programme wie das der Berlinale Residency überlebenswichtig. Die Bedingungen, unter denen er seine Filme herstellen kann, verschlechtern sich erheblich mit dem Verlust der heimischen Infrastruktur.

Pitts’ Berliner Projekt erzählt denn auch vom Schicksal eines Heimatlosen: von einem mexikanischen »Green Card Soldier«, einem, der für die USA in den Krieg zieht, um sich damit die Staatsbürgerschaft zu verdienen, tot oder lebendig. Im Iran, erzählte Pitts, habe man ein Filmprojekt möglichst lange geheim gehalten, damit kein Zensor es verbieten konnte. Dass er hier in Berlin nun vor Publikum sitzen und öffentlich über ein Projekt reden könne, das davon nichts zu befürchten habe, sondern im Gegenteil auch noch öffentlich gefördert werde, sei eine völlig neue Erfahrung für ihn. Er erntete spontanen Applaus.

Raya Martin von den Philippinen, mit Ende zwanzig der mit Abstand jüngste unter den sechs Regisseuren, könnte seine stilistisch ambitionierten Projekte ohne europäische Unterstützung ohnehin nie verwirklichen - die Berlinale Residency ist nicht sein erstes Festival-Stipendium. Das Projekt, an dem er in Berlin arbeitet, wird von Kolonialismus handeln und von abwesenden Vätern, die in den Bergen für die Freiheit kämpfen.

Der Israeli Samuel Maoz läuft jeden Tag zwanzig Kilometer durch Berlin, bevor er sich an sein neues, wieder sehr armeekritisches Projekt setzt. Der Chilene Matías Bize mietete sich erst mal ein Fahrrad, um durch die Stadt zu radeln. Und der Niederländerin Sacha Polak (»Hemel«) gefällt es in Berlin so gut, dass sie auf eigene Faust noch bis zum nächsten Sommer bleiben wird.

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