nd-aktuell.de / 19.12.2012 / Politik / Seite 15

»Eingriff in den Krisendiskurs«

Das Anarchistische Netzwerk Südwest ruft zur Kundgebung nach Mannheim

Für den 22. Dezember hat das Anarchistische Netzwerk Südwest zu einer Demonstration in Mannheim aufgerufen. Mobilisiert wird bundesweit. Über Bündnispolitik und Potenziale gesellschaftlicher Veränderung sprach mit EMMA, einer Sprecherin des Netzwerks, MARTIN LING.

nd: Sind bei der Demonstration gegen die Krise am 22. Dezember auch Globalisierungskritiker aus dem nicht-anarchistischen Spektrum wie dem Netzwerk Attac willkommen?
Emma: Die Demonstration richtet sich weniger gegen die Krise als gegen das kapitalistische System an sich, dessen bloße Existenz Ursache der sogenannten Finanzkrise ist. Zur Demo heißen wir aber natürlich alle willkommen, die sich mit der explizit antikapitalistischen und antinationalen Grundausrichtung identifizieren können. Für uns ist die Demonstration kein Selbstzweck, sondern der Versuch, mit einer tiefergehenden Kritik in den aus unserer Sicht verkürzten Krisendiskurs einzugreifen.

Die Kritik im Demonstrationsaufruf richtet sich insbesondere gegen den Exportweitmeister Deutschland, der bisher »nur« von den Krisenausläufern betroffen ist, namentlich »die solide Basis aus Gewerkschaften, die dem Standort Deutschland sozialpartnerschaftlich verbunden bleiben« und einer Opposition, die sich herzergreifend um den »deutschen Steuerzahler« sorgt. Auf ein breites gesellschaftliches Bündnis zielt das eher nicht, oder?
Die Frage zielt wohl auf unser taktisches Verständnis von Veränderung ab. Und nein: Derzeit sehen wir leider keine großen Optionen für ein breites gesellschaftliches Bündnis, dem es gelingen könnte, den Kapitalismus zu überwinden - denn an eine Reformierung glauben wir nicht. Doch selbst wenn es ein solches Bündnis gäbe, die sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaften könnten wohl kaum dazu gezählt werden. Das hieße, eine jahrzehntelange Förderung kapitalistischer Ausbeutung durch handzahme, sogenannte »Vertretungen« von Arbeitenden völlig zu ignorieren und sich auf dasselbe Spiel wie immer einzulassen, wo es stets nur einen Gewinner gibt: dieses System.

Inwiefern findet eine gemeinsame europäische Zusammenarbeit der anarchistischen Gruppierungen in der Krise statt, insbesondere zwischen Nord- und Südeuropa, deren Bevölkerung massiv unter Kürzungen im Sozialsystem leidet?
Es gilt zu unterscheiden zwischen anarchosyndikalistischen Gewerkschaften und Organisationen, die rund um das Thema Krise und Sozialabbau sehr gut vernetzt sind und anderen anarchistischen Gruppen, die einen größeren Fokus haben und wo solche Vernetzungen gerade erst aufgebaut werden. Die Ersteren haben etwa im Rahmen der letzten Generalstreikversuche in Spanien und Portugal stark miteinander kooperiert und gemeinsam agiert. Bei letzteren bestehen Kontakte, die derzeit deutlich ausgebaut werden. In unserem Fall durch den vor einem Monat erfolgten Beitritt zum »Forum deutschsprachiger Anarchist*innen« und dadurch wiederum zur »Internationale der Anarchistischen Föderationen«.

In Europa wachsen die Ressentiments, Deutsche lästern über Griechen, Griechen schimpfen über Merkel speziell und die Deutschen generell. Nach einer gemeinsamen Verbrüderung gegen das kapitalistische System sieht das nicht aus. Wie soll die Bevölkerung für anarchistische Krisenantworten gewonnen werden und wie sehen die aus?
Ressentiments mit nationalistischen Untertönen waren schon immer ein Mittel, um Entscheidungen zu rechtfertigen. Ob dies nun dazu diente, Kriege zu legitimieren, oder wie aktuell Sündenböcke für die Krise zu suchen. Unserer Ansicht nach ist es jedoch prinzipiell einfach, diese Argumentationen zu widerlegen, also beispielsweise zu zeigen, dass Griechenland nicht »über seine Verhältnisse« gelebt, sondern die gleichen Marktmechanismen angewandt hat, wie jedes andere kapitalistische Land auch - nur dass es damit gescheitert ist. Aber, um als Gewinner im Kapitalismus dazustehen, bedarf es logischerweise auch Verlierer. Die Schwierigkeit liegt darin, diese Ansichten auch tief in die Mitte der Bevölkerung zu tragen. Dafür fehlen uns zur Zeit aber leider noch die Mittel.