Nacht-Räume

Das »Ultraschall«-Festival für Neue Musik war dem Verhältnis zwischen Frankreich und Deutschland gewidmet

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 4 Min.

Leisheit, Stille, Dunkles walten. Ebenso das demonstrative Sich-Zurückziehen in Kammermusik, in die kleinste Einheit, ins rein Solistische. Die Räume, wo Musik - neue, ältere - auftritt, ändern sich. Abschied von den barocken Sälen, in denen die Feier dominiert, von den Musentempeln in und um Berlin. Die Fabrikhalle ist gerade recht. »Radialsystem V« heißt in Berlin eine Stelle. Sie ist längst durchgesetzt. Ein ähnlicher, vom Publikum sofort angenommener Ort ist der »Fritzclub« am Ostbahnhof. Sie bieten in variabel strukturierbaren Räumen Zuhörern Platz und Erlebnis.

Das nun nach elf Tagen beendete Festival »Ultraschall«, bestritten von Deutschlandradio Kultur und dem rbb-Kulturradio (Rainer Pöllmann, Margarete Zander), setzt auf all dies und hat Erfolg damit. Freilich, zentral ist das Programm. »Ultraschall« ist vornehmlich ein Festival der Kammermusik (im Gegensatz zum »Musikfest Berlin«). Das gerade Modische ist ihm einerlei (die Fashion ist Domäne der »MaerzMusik« in Berlin). »Ultraschall« setzt auf die Errungenschaft, die Qualität, und darum hat es im Vorfeld viel zu arbeiten. Denn so viel Qualität herrscht nicht auf dem Markt Neuer Musik, eher die Unverbindlichkeit, nicht selten der Unfug. Man muss genau hingucken, prüfen, natürlich auch was riskieren in Gestalt von Aufträgen, und experimentieren.

Das Thema in diesem Jahr: »Musique franco-allemande«, verbunden mit der Frage, was die geografischen, nationalen Sphären trennt und verbindet. Allemal hochinteressant, brisant. Im Geschichtlich-Politischen wie Musikalischen. Hintergrund: die Feiern zu 50 Jahre Elysée-Vertrag. Dass die einstigen Erbfeinde Frankreich und Deutschland nun gemeinsam die Kriegstrommel in Nordwestafrika schlagen, beschwiegen die Programminformationen natürlich. Als fehle Neuer Musik der Sinn, überhaupt Notiz davon zu nehmen.

Französisches kreatives Potenzial jedenfalls tummelte sich, verwirklicht durch solch profunde Gruppen wie das Ensemble Recherche, das Kammerensemble Neue Musik Berlin, die Ensembles Interface, Mosaik, Trio Catch etc.

Drei Konzerte stehen in Rede. Das Ensemble Modern trat unter dem Motto »Was heißt Neue Musik?« mit einer Unterformation auf und musizierte ältere und jüngere Werke, Franzosen waren nicht vertreten. Das älteste, Luciano Berios »Différences« für fünf Instrumente und Tonband von 1959, soll der Komponist lange Zeit mit Aufführungsverbot belegt haben. Wohl zu Recht. Nun, Berio ist tot, kam es in digitaler Fassung als Raum-Stück. Es wirkte unfertig. Originale instrumentale Abläufe einerseits und deren elektroakustische Spiegelungen andererseits stören sich wechselseitig. Erlebbar wurden die Mühen der Ebenen elektroakustischer Musik.

Sehr talentvoll die Arbeit des jungen Slowenen Vito Zuraj für Horn und zwei Schlagzeuger, die er »WARM-UP« nennt. Mit Hornist Rumi Ogawa hat der Komponist das schöne, anrührende Werk erarbeitet. Des Rockers Frank Zappa wurde gedacht mit »Ruth is Sleeping« für zwei Klaviere, das ihn ganz anders als rabiat zeigt, nämlich gefühlig, samten, von Raschheit erfasst. Hermann Kretzschmar und Ueli Wiget, beide Urgesteine neuer Musik, brillierten temposcharf mit vielfach gebrochener Quart- und Quintenharmonik, die wie Schubert'sches Bachrauschen klang.

Großer Beifall für Dietmar Wiesner, er gehört zu den besten Flötisten der Szene, der Emanuel Nunes »Aura« blies, eine Virtuosennummer, immer gleich klingend und darum langweilig. Gestisch eckigste wie ulkigste Kapriolen schlägt »Kaspars Tanz« von Hanspeter Kyburz, sensationell aufgeführt von Ueli Wiget. Mit »Linie/ Splitter 2« für Ensemble von Friedrich Goldmann kam eine bis ins Letzte ausgehörte, besonders in ihren ausgeführten Adagio-Abläufen mit Akkordeon, Cello, Klarinette höchst eindrückliche Komposition.

Viel Piano-Musik bei »Ultraschall«, die zu hören sich allemal lohnte. Die Reihe »Piano plus« im »Radialsystem V« versammelte drei Konzerte, bestritten von asiatischen Musikererinnen. Staunenswert und mit viel Beifall bedacht die Leistung der Taiwanerin Pi-hsien Chen. Sie, klein, zierlich, schwarz-rot gekleidet, das Gesicht ernst, bot höchst konzentriert und durchaus in »asiatischer Lesart« Schönbergs gesamtes Klavierwerk, das teils »romantisch« erblühte. Zwischen die einzelnen Stückfolgen, nicht schlecht gedacht, fügte die Pianistin atemschöpfende »My Window«-Klänge des Chinesen Lei Liang ein.

Schließlich der Abend mit Aribert Reimann, dem großen Mann der Oper (»Lear«, »Medea«) und dem der kleinen Form. »Nacht-Räume« für Sopran und Klavier (für zwei Spieler), komponiert 1988, kam mit der eingesprungenen großartigen Julia Giebel zur Aufführung. Unbändigen, insistierenden, metrisch pochenden, streng durchformten Ausdruck haben diese Nacht-Räume mit Rilkes Spruch »Sieh hinauf. Heut ist der Nachttraum heiter.« Reimann, angekränkelt, selber an der Diskant-Seite und Axel Bauni auf der Bass-Seite des Flügels arbeitend, setzten mit dem Stück den entscheidenden Akzent des Konzerts.

An dessen Ende stand ein rasant strukturiertes, burschikoses, den Esprit von Alltagssituationen einfangendes Trio für Klarinette, Cello und Piano des griechisch-französischen Komponisten Georges Aperghis, musiziert von dem sehr hoffnungsvollen, hochengagierten Trio Catch mit, ihre Namen seien unbedingt genannt, Yen-Ting Liu, Cello, Boglárka Pecze, Klarinette, und Sun-Young Nam, Klavier.

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