Im Reich des Wachtelkönigs

In Niedersachsen wird seit Jahren um ein Elbbrückenprojekt gestritten - der positive Ausgang einer Bürgerbefragung ändert wenig

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 4 Min.
Die nach der Wiedervereinigung versprochene, bisher aber nicht gebaute Elbbrücke zwischen Neu-Darchau und dem von Mecklenburg-Vorpommern nach Niedersachsen gewechselten Amt Neuhaus beschäftigt Bürger und Politik. Zwar ergab kürzlich eine Bürgerbefragung eine Mehrheit für den Bau, doch die Kritiker des Projektes machen mobil.

Brücken sollen verbinden. Doch in Niedersachsen sorgt solch ein Bauwerk, obwohl es bislang nur auf dem Reißbrett existiert, seit 20 Jahren für Zwietracht: die geplante Elbbrücke zwischen den Kreisen Lüneburg und Lüchow-Dannenberg. Rund 45 Millionen Euro soll der Bau kosten. Er wird viel teurer, vermuten Gegner des Projekts. Ob es je verwirklicht wird, ist offen, nicht zuletzt mit Blick auf die neue rot-grüne Landesregierung.

Immer höhere Kosten

Entstehen könnte die Brücke zwischen Neu Darchau auf Lüchow-Dannenberger Seite und Darchau am Ostufer. Das Dorf war 1945 ins Land Mecklenburg-Vorpommern eingegliedert worden und kehrte 1993 per Staatsvertrag in den niedersächsischen Kreis Lüneburg zurück. Seither gibt es sowohl den Wunsch nach einer Brücke als auch Widerstand dagegen. Sie bleibt ein Zankapfel, daran ändert auch eine Bürgerbefragung mit Mehrheit für das Vorhaben nichts.

Seit zwei Jahrzehnten schmort das Projekt vor sich hin. Viele Aktenordner füllt es, viel Unmut hat es ausgelöst. Mal protestierten die Neu Darchauer gegen eine Brückenzufahrt durch ihren Ort, mal gab es Unstimmigkeiten über die Brückenpflege. Und dann erschien auch noch ein Tier, das schon manchem Planer von Großprojekten Angst und Schrecken einjagte: der streng geschützte Wachtelkönig. Gleich vier seiner Brutreviere entdeckten Experten nahe des möglichen Brückenverlaufs. Die Ruhe der seltenen Vögel schien bedroht. Doch Gutachter fanden einen Ausweg: Lärmschutzwände für den Wachtelkönig kamen ins Brückenkonzept. Auch Barrieren, die Fledermäuse vor der Kollision mit Autos bewahren sollen, und Tunnel für wandernde Kröten wurden eingeplant.

All dies und Preissteigerungen führten dazu, dass sich die 1999 veranschlagten Kosten für die Brücke von 21 Millionen mittlerweile auf 45 Millionen Euro erhöhten. »Dabei bleibt es nicht«, meint Andreas Conradt von der Bürgerinitiative »Brücke nein - Fähre ja«. Das Ganze werde »viel teurer - und ist nicht nötig«. Die zwischen den Ufern pendelnde Fähre »Tanja«, deren Tarife dank eines Zuschusses aus dem Kreis Lüneburg 2014 gesenkt würden, sei ausreichend. Doch müssten die Fährzeiten ausgedehnt werden. Lärm und Luftverschmutzung durch Zunahme des Lkw-Verkehrs, Einschnitte ins ökologische System der Elbtalaue, Arbeitsplatzverlust des Fährpersonals und das Ausbleiben von Touristen, denen die Fähre ein reizvolles Ausflugsziel ist - so lauten weitere Argumente der Initiative.

Auch die Pro-Fraktion hat sich formiert: im »Förderkreis Elbbrücke Darchau«. Er hofft, die Überquerung könne beispielsweise Einzelhändlern und Ärzten einen Anreiz bieten, sich in der Gemeinde Neuhaus niederzulassen, zu der Darchau gehört. Dadurch würden sich die Versorgung der Bürger und die Lage auf dem Arbeitsmarkt verbessern. Die nächsten Elbbrücken, so mahnen die Befürworter, liegen über 30 Kilometer weit von Darchau entfernt. Arbeitnehmer und Schüler müssten deshalb weite Umwege hinnehmen, wenn die Fähre etwa wegen Eisgangs oder Hochwassers nicht verkehrt. »Die Brücke wäre eine sichere Verbindung«, bekräftigt der Förderkreis und: Ihre Finanzierung sei weitgehend gesichert.

Das mag stimmen, sofern es bei 45 Millionen Euro Baukosten bleibt. Die schwarz-gelbe Landesregierung hatte noch unter Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) zugesagt, 75 Prozent des Geldes aus Bundesmitteln zu beschaffen und selbst 1,3 Millionen Euro beizusteuern. Acht Millionen Euro soll der Kreis Lüneburg als Bauherr tragen, 700 000 Euro Lüchow-Dannenberg. Doch was geschieht, wenn der Bau teurer wird? Wird Lüneburg beim Land um mehr Geld bitten - und wie reagiert dann die rot-grüne Landesregierung? Die Grünen im Landtag sind gegen die Brücke, erklärte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Miriam Staudte gegenüber »nd«. Von der neuen SPD-Fraktion gibt es noch keine konkrete Stellungnahme.

Lüneburgs Landrat Manfred Nahrstedt (SPD) will in dieser Sache »nicht spekulieren«, sondern die Koalitionsverhandlungen abwarten. Gefragt nach seinem Brücken-Standpunkt sagte der Verwaltungschef, er sei für das Vorhaben, »aber nicht um jeden Preis«. Doch müsse das »starke Votum« der Bürger für die Brücke berücksichtigt werden.

Zerschnittene Ortschaft

Nahrstedt verweist damit auf eine Befragung, an der sich am 20. Januar gut 47 Prozent der Wahlberechtigten im Kreis beteiligt hatten. Von ihnen votierten 49,5 Prozent für die Brücke, 28,1 Prozent dagegen und 22,4 Prozent befürworteten den Bau unter der Bedingung, dass der Anteil des Kreises zehn Millionen Euro nicht übersteigt. Die Contra-Initiative bemängelt, dass die Lüchow-Dannenberger nicht befragt wurden. Immerhin zerschneide die Brückenzufahrt einen ihrer Orte, und der ohnehin wirtschaftlich schwache Kreis werde durch die Unterhaltung des Bauwerks zusätzlich belastet.

Wie geht’s weiter mit der Brücke, sofern es keine Geldprobleme gibt? Der Landrat meint, dass das Planverfahren bis 2014 abgeschlossen sein könnte. Doch seien Klagen gegen das Vorhaben zu erwarten, »so dass wir mit einem Baubeginn nicht vor 2018 rechnen«. Wenn alles glatt geht. Wenn nicht, dann wird der Wachtelkönig wohl noch sehr lange seine Ruhe genießen - ganz ohne Lärmschutzwände.

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