Zeichen der Demut

Das Kirchenvolk erwartet mehr als einen Papstwechsel in Rom

  • Lesedauer: 5 Min.
Papst Benedikt XVI. hat für den 28. Februar seinen Rücktritt angekündigt, und nicht nur die Kirchenwelt fällt aus allen Wolken. Die Reaktionen sind respektvoll bis überschwänglich, doch in die Äußerungen des Bedauerns und der Würdigung mischen sich auch kritische Töne. So sieht die Kirchenbasis, die in der Bewegung »Wir sind Kirche« organisiert ist, in der Person des Papstes zwar nicht den Hauptgrund für den desolaten Zustand, in dem sich die Institution befindet. Eine Verantwortung schreibt sie ihm schon zu. Jedes vierte Mitglied der katholischen Kirche in Deutschland erwägt ernsthaft den Austritt. Das ist nur noch aufzuhalten, wenn der Kurie der Kampf angesagt und die Kirche für Reformen geöffnet wird, meint der Sprecher von »Wir sind Kirche« im Interview mit »neues deutschland«.

nd: Sie haben einmal gesagt, es reiche nicht, den Papst auszutauschen, zu groß seien die strukturellen Probleme der Kirche. Nun passiert es plötzlich doch, der Papst tritt zurück. Sind Sie vielleicht ein klein wenig erleichtert?
Weisner: Nein, es stimmt, Personen auszuwechseln, reicht nicht, um die Probleme zu lösen. vor allem das Leitungssystem der katholischen Kirche und die Kurie in Rom das eigentliche Problem sind.

Vom Papst selbst fühlten Sie sich demnach nicht im Stich gelassen?
Für die gesundheitlichen Einschränkungen, die der Papst mit seinen fast 86 Jahren erduldet, kann man nur Verständnis haben. Aber was in den Jahren seiner Amtszeit zugleich immer klarer geworden ist: Eine solche Institution zu steuern, wie sie die katholische Kirche mit ihren 1,2 Milliarden Mitgliedern ist, das hat Benedikt offenbar überfordert.

Gut als Theologe, aber schwach als Kirchenlenker?
Die Geschichte dieses Papstes wird erst noch geschrieben werden. Wie kaum einer hat er die katholische Kirche geprägt. Ob er aber eine Kirche hinterlässt, die dem dritten Jahrtausend gewachsen ist, da habe ich meine Zweifel.

Dann ist ein neuer Papst doch eine Hoffnung für Sie?
Die Herausforderungen, vor denen die Kirche steht, sind immens. Die Aufarbeitung der sexuellen Gewalt und deren Vertuschung in der Kirche sind ein drängendes Thema, aber auch die Nöte der Menschen in den verschiedensten Kulturkreisen. Ein Mensch allein kann diese Aufgabe gar nicht bewältigen. Der neue Papst muss deshalb ein Teamplayer sein.

Wie viel hat der Konservatismus der Kirche mit dem Papst zu tun?
Der Papst hat vor allem der Einheit der Kirche zu dienen, was nicht zugleich Einheitlichkeit heißen soll. Benedikt hat sich allerdings vor allem darum bemüht, die konservativsten und traditionalistischsten Kräfte wie die Piusbruderschaft in den Schoß der Kirche zurückzuholen.

In Deutschland hat gerade die Gruppierung Opus Dei vor Gericht einen Erfolg errungen. Es ging um eine Jungenschule in Potsdam. Sind die konservativsten Teile der Kirche hier besonders stark?
Nein, stärker noch sind sie in Spanien und Frankreich. Aber die katholische Kirche insgesamt muss den Weg in die Moderne finden. Dazu hat das Zweite Vatikanische Konzil vor 50 Jahren eigentlich das Handwerkszeug geliefert. Es muss nur angewandt werden - in mehr Hinwendung zu Dialog, mehr Hinwendung zu den Menschen, mehr Einmischung für eine sozial gerechtere Welt.

Was kann Rom hierbei bewirken, wie für ein neues Denken sorgen? Immerhin war es nicht der Papst, der die Zusammenarbeit mit dem Kriminologischen Institut in Niedersachsen beendet und damit die Aufklärung des Missbrauchsskandals der Kirche mit dem Zweifel beladen hat, dass sie nicht ernst gemeint ist.
Gerade mit der DDR verbinden viele Menschen die Erfahrung des Systemwechsels. Vielleicht kommt auch in der katholischen Kirche irgendwann der Moment, da das alte hierarchische System nicht mehr wirkt. Und dass es dann auf einmal sehr schnell geht.

In der DDR ist eine ganze gesellschaftliche Führungsschicht gestürzt worden. Das trauen Sie der Kirche zu?
Ich hoffe auf die Kirche. Aber es kommt dabei nicht allein auf den Papst oder die Kurie oder die Kardinäle an, die den Papst zu wählen haben, sondern auf die mehr als 4000 Bischöfe weltweit, letztlich auf das ganze Kirchenvolk, damit Kirche und Christentum weiter bestehen können.

Derzeit denkt jedes vierte Mitglied ernsthaft über einen Austritt aus der katholischen Kirche nach. Die innere Reformkraft der Kirche scheint nicht sehr vertrauenerweckend zu sein.
Wenn die Kirchenleitung ernsthaft Bemühen zeigen würde, wenn Glaubwürdigkeit wieder hergestellt würde, wenn über Reformen nicht nur geredet würde, dann bestünde auch wieder Hoffnung.

Um welche Reformen geht es konkret?
Die Kirche muss sich von alten Zöpfen trennen, zum Beispiel bei ihrem Verhältnis zu den Frauen. Warum soll Frauen nicht das Recht auf das Priesteramt eingeräumt werden? Das Zweiklassenrecht in der katholischen Kirche muss fallen. Die Kirche hat es auch geschafft, sich von der Sklaverei zu verabschieden und von der Inquisition. Auch von dem monarchischen System zwischen Kurie und Laien muss sie sich trennen.

Die Kirche nicht vom hohen Bischofsstuhl regieren?
Man braucht immer beides. Menschen, die Verantwortung übernehmen. Und ihren Dialog mit den Menschen, in deren Namen sie agieren.

Immerhin könnte man sagen, dass der Papst mit seinem Rücktritt ein Beispiel von Demut liefert.
Das ist sicher ein historischer Schritt, in diesem Hilferuf steckt zweifellos Demut. Und die große Hoffnung ist jetzt, dass die Kirche nicht in Streit zerfällt, sondern Brücken baut. Zur Gesellschaft, zu den Frauen, zu den wirklich armen Menschen in der Welt.

Die Debatte über die Nachfolge des Papstes wird nicht lange auf sich warten lassen. Wäre es gut, wenn jetzt nicht wieder ein Papst aus Europa nachfolgte?
Der neue Papst muss ein Verständnis für die Welt haben, sicher. Aber er muss auch Europa als Kernregion des Christentums verstehen. Und er muss sich mit der Kurie auseinandersetzen.

Ist die katholische Kirche reif für einen Papst aus Afrika?
Allemal. aber es ginge nicht allein um die Hautfarbe. Sie garantiert noch nicht, dass ein Mensch offen ist für Neues.

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