100 Prozent? Keine Spitzenidee

Jens Berger über die Grenzen des Spitzensteuersatzes

  • Jens Berger
  • Lesedauer: 5 Min.

»Linke will 100-Prozent-Steuersatz« – diese Meldung sorgte vor wenigen Tagen für ein aufgeregtes Rauschen im Blätterwald. Die Meldung war, das stellte sich kurze Zeit später heraus, eine waschechte Ente. Die Diskussion um einen 100-Prozent-Steuersatz ist dadurch jedoch nicht verstummt. Im Gegenteil – vor allem in linken Spektrum erfreut sich die Idee einer faktischen Einkommenskappung großer Beliebtheit. Zu Unrecht, da eine solche Einkommenskappung das Kind mit dem Bade ausschütten würde und keinesfalls zu einem sinnvollen sozialen Ausgleich betragen würde.

Welche Ziele sollte ein gutes Steuersystem verfolgen? Es sollte auf der einen Seite fair und gerecht sein und auf der anderen Seite ein ökonomisches Korrektiv für Fehlentwicklungen darstellen. Die sich immer weiter öffnende Einkommens- und Vermögensschere ist eine solche Fehlentwicklung. Ein funktionierendes Korrektiv muss hier sinnvollerweise eingreifen. Das Steuersystem hat dazu verschiedene Instrumente, die separat betrachtet werden müssen – im folgenden geht es daher nicht um die notwendige Besteuerung großer Vermögen, sondern ausschließlich um die Besteuerung großer Einkommen.

Es besteht ein gesellschaftlicher Konsens, dass höhere Einkommen stärker besteuert werden müssen als niedrige und mittlere Einkommen. Kein Konsens ist jedoch bei der Frage zu finden, wie hoch der Steuersatz sein darf, mit dem man sehr hohe Einkommen besteuern darf. Gab es in der Nachkriegszeit sowohl in den USA als auch in Westdeutschland durchaus Spitzensteuersätze oberhalb von 75 Prozent, hat sich die politische Bereitschaft, hohe Einkommen auch hoch zu besteuern, mit dem Siegeszug des Neoliberalismus deutlich verringert. In den letzten Jahren ist jedoch hier eine Trendwende zu beobachten. Frankreich wird in diesem Jahr einen Spitzensteuersatz von 75 Prozent für Einkommen oberhalb einer Million Euro einführen. Wenn man Einkommen oberhalb einer Million Euro mit 75 Prozent besteuern kann, warum soll man dann nicht auch Einkommen ab 480 000 Euro mit 100 Prozent besteuern?

Punktsieg bloß für "gefühlte Gerechtigkeit"

Diese Idee ist nicht aus der Luft gegriffen, sondern ein Vorschlag, mit dem die Parteivorsitzende Katja Kipping im Sommer letzten Jahres hausieren ging. Sicher, oberflächlich betrachtet, mag eine solche Einkommenskappung attraktiv sein, den in der Tat ist nur schwer vorstellbar, dass irgendwer mehr als 40 000 Euro pro Monat braucht. In puncto »gefühlte Gerechtigkeit« mag Frau Kipping damit durchaus einen Punktsieg landen. Wäre ein solches Modell jedoch auch ein Korrektiv für Fehlentwicklungen? Das wäre es nur dann, wenn sich dadurch auch die Mittel freimachen ließen, um auch am unteren Ende der Einkommensschere korrigierend einzugreifen. Würde eine 100-Prozent-Steuer dem Fiskus mehr oder weniger Geld einbringen als beispielsweise die französische 75-Prozent-Steuer?

Grob vereinfacht gibt es zwei verschiedene Quellen sehr hoher Einkommen, die sich exemplarisch an zwei Musterbeispielen aufzeigen lassen. Da gibt es den hoch bezahlten Manager, der als Angestellter eines Unternehmens sehr hohe Einkommen erzielt. Und es gibt den Besitzer eines Unternehmens, der nicht nur durch sein eigenes Schaffen, sondern auch durch das Schaffen Anderer ein hohes Einkommen erzielt.

Der Manager wäre mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn er sich bei einer steuerlichen Einkommenskappung ein Einkommen auszahlen ließe, dass über der Kappungsgrenze liegt. Was hätte er davon? Was hätte sein Arbeitgeber davon? Nichts. Statt eines höheren Gehaltes, ließen sich die Manager in einem solchen Fall wahrscheinlich Boni in ihre Verträge schreiben, die nicht in Deutschland einkommensteuerpflichtig sind. Oder sie ließen sich ganz einfach im Ausland beschäftigen. Ob der Chef der Deutschen Bank seine Geschäfte nun von Frankfurt oder von London aus macht, spielt für die Bank keine Rolle - ganz anders sieht dies jedoch für den deutschen Fiskus aus, der in jedem Fall in die Röhre gucken würde.

Ökonomisch kontraproduktiver Anreiz

Auch der Unternehmer, der Erbe und der Spekulant haben nach gültigem Recht unzählige Möglichkeiten, die Einkommenskappung schlicht zu umgehen. Sei es mit einer Dachgesellschaft (Holding) im Ausland oder gar mit einem Stiftungsmodell. Die Einkommensteuer greift nur bei den Einkommen natürlicher, nicht aber juristischer Personen, wie es Unternehmen sind.

Hinzu kommt, dass eine Einkommenskappung für Vermögende auch eine ökonomisch kontraproduktive Anreizwirkung hat. So lange es Personen mit derart hohen Vermögen gibt, haben diese Personen auch immer die Freiheit dort zu investieren, wo sie ihre Rendite maximieren. Und wenn sie die Renditen in Deutschland ab einer bestimmten Kappungsgrenze zu 100 Prozent an Fiskus abführen müssten, hätten sie schlicht keinen Anreiz hierzulande zu investieren. Warum sollte man ein Risiko eingehen, wenn man mit diesem Risiko keinen Gewinn erzielen kann? Zu den Schattenseiten der wirtschaftlichen Freiheit gehört es nun einmal auch, dass auch das Kapital frei ist und sich stets dort niederlässt, wo es Renditen erzielen kann. Eine Einkommenskappung würde daher lediglich dazu führen, dass ein großer Teil des Kapitals sich wo anders niederlässt. Den Menschen am unteren Ende der Einkommensschere ist damit jedoch auch nicht geholfen.

Zugspitzt könnte man daher sagen, es ist besser 75 Prozent von einer bestimmten Summe zu bekommen, als 100 Prozent von fast gar nichts. Zweifelsohne – der Vorschlag, Einkommen ab einer bestimmten Höhe zu kappen, klingt gerecht und attraktiv. Leider hält er diese Versprechen in der Praxis jedoch nicht. Der wesentlich sinnvollere Ansatz, Einkommen ab einer Million mit 75 Prozent zu versteuern, der dann auch seinen Weg ins Wahlprogramm der Linkspartei gefunden hat, hält dieses Versprechen. Das zusätzliche Geld könnte die Politik dann sinnvoll ausgeben, um den Menschen am unteren Ende der Einkommensschere zu helfen. Und das sollte doch auch das Ziel linker Politik sein.

Jens Berger ist freier Journalist und politischer Blogger der ersten Stunde. Als der Redakteur der NachDenkSeiten und Herausgeber des Spiegelfechters schreibt er regelmäßig zu sozial-, wirtschafts- und finanzpolitischen Themen. Zuletzt erschien von ihm: »Stresstest Deutschland: Wie gut sind wir wirklich?« (im Westend Verlag)

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