Nazis bestimmten Hessens Neubeginn

Studie über belastete Landtagsabgeordnete

  • René Heilig
  • Lesedauer: 2 Min.
Da sei nichts Neues drin, man habe alles »aufgebauscht«, urteilte das Hauptstaatsarchiv, nachdem die hessische Linksfraktion im Mai 2011 eine Studie über die Nazivergangenheit von Abgeordneten vorgestellt hatte, die zwischen 1946 und 1987 Mitglied des Parlaments waren. Nun zeigt sich, dass die Altlasten viel größer sind.

Um die Ergebnisse der LINKEN-Studie von 2011 zu überprüfen, hatte Hessens Landtag einvernehmlich ein Forschungsprojekt beschlossen. Was die eingesetzten Experten zusammengetragen haben, bestätigt nicht nur, was die Linksfraktion nach Forschungen zu 333 Abgeordneten herausgefunden hatte. Man analysierte das Vorleben von 403 Abgeordneten, die dem Landtag zwischen der 1. und der 11. Legislaturperiode angehört haben. Ergebnis: 92 Abgeordnete waren Mitglieder in Hitlers NSDAP, 13 dienten ihr sogar als hauptamtliche Funktionäre. Weiter wurden 200 Mitgliedschaften in weiteren Partei- oder parteinahen Organisationen entdeckt.

Zu fragen ist nach individueller Schuld, auch bei den 26 SA- und zwölf SS-Mitgliedern. Mehrere bekleideten sogar höhe Ränge nicht nur bei der Waffen-SS, sondern auch bei den Mörderbanden der Totenkopf-SS. Bei Nachforschungen zu fünf Abgeordneten fanden sich Hinweise auf eine Beteiligung an Kriegsverbrechen der Wehrmacht. Auch mutmaßliche Fälschungen auf den Entnazifizierungsbögen, die nach 1945 ausgefüllt werden mussten, wenn man einen »Persilschein« bekommen wollte, fanden die Forscher. Der Vorwurf richtet sich gegen 20 einstige Abgeordnete. Es zeigt sich, dass alle Parteien - ausgenommen die KPD - Mitglieder mit NS-Belastungen ins Parlament schickten. Zwischen 1954 und 1966 haben einige Landtagsfraktionen sogar überwiegend aus NS-belasteten Abgeordneten bestanden. Besonders betroffen waren die Freien Demokraten, der Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE) und die NPD.

Einige Beispiele: Alfred Dregger (CDU) war NSDAP-Mitglied, machte falsche Angaben im Entnazifizierungsbogen und wurde dennoch Oberbürgermeister im katholischen Fulda, war Fraktionsvorsitzender seiner Partei im Bundes- wie im Landtag. Er führte die hessischen Christdemokraten als Landeschef an. Weniger im Bewusstsein ist Gotthard Franke (BHE, FDP). Er war seit 1938 in der NSDAP und nach dem Krieg Mitglied im rechtsradikalen Witikonbund. Zwischen 1955 und 1963 agierte er unter anderem als Wirtschaftsminister und stellvertretender Ministerpräsident.

Gustav Hacker (BHE) war wegen Kriegsverbrechen verurteilt worden, brachte es dennoch zum Landwirtschaftsminister. Erich Mix (FDP) war OB in Wiesbaden, FDP-Fraktionsvorsitzender und Vizepräsident des Landtages. In der Nazizeit agierte er als NS-Führungsoffizier und war SS-Standartenführer. Frank Seiboth (BHE) hatte es zum SS-Hauptsturmführer gebracht. Das war bei seiner Ernennung zum Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium nicht hinderlich.

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