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Die gnadenloseste Ära

Roland Freisler - ein mörderischer Jurist

  • Hans Canjé
  • Lesedauer: 3 Min.

Noch ein Buch über Roland Freisler, den Präsidenten des sogenannten Volksgerichtshofes? Den »Hinrichter« tausender mutiger Antifaschisten, Frauen, Männer und sogar Jugendlicher, der nicht seiner gerechten Strafe zugeführt werden konnte, da ihn am 3. Februar 1945 der Splitter einer Bombe in den Tod gerissen hat. Der Nürnberger Internationale Militärgerichtshof nannte ihn »den düstersten, brutalsten und blutigsten Richter der gesamten deutschen Justizverwaltung«. Seine Frau Marion Freisler erhielt nach 1945 über die Witwengrundrente hinaus eine »Schadenausgleichsrente«, weil ihr Mann - laut amtlicher Bekundung - »als Rechtsanwalt oder Beamter im höheren Dienst tätig geworden wäre«, hätte er den Krieg überlebt.

Helmut Ortner verteidigt seine Biografie: Ja, sie musste geschrieben werden. »Gerade jetzt. Da angesichts der Diskussion um die ›zweite deutsche Diktatur‹, das ehemalige DDR-Regime, die Gefahr besteht, dass die dann benutzt wird, über die ›erste deutsche Diktatur‹ den Mantel des Vergessens zu legen.«

Der Untertitel verwirrt für einen Augenblick: »Mörder im Dienste Hitlers«. Das erinnert an Entlastungsbemühungen von so manchem Vollstrecker oder willigen Helfer des faschistischen Terrorregimes: »Ich war es nicht. Hitler war es.« Genau das will Ortner widerlegen. Er ordnet den »mörderischen Juristen« Freisler ein in die Geschichte der deutschen Justiz in einer »mordgeschwängerten Zeit«, in der die Juristen zu »Henkern und Handlangern eines todbringenden Regimes« wurden.

Nachdem diese sich nach 1945 selbst amnestiert, als »missbraucht« und in jedem Fall als nicht schuldig erklärt hatten (»Die Gesetze waren eben so«), stand ihnen - anders als in der DDR - im Westen Deutschlands nichts mehr im Weg, eine zweite Karriere zu beginnen.

Ortner führt sie vor - die gnadenlosen Herren Richter und Staatsanwälte, die sich bei der Festsitzung zur Gründung des »Volksgerichtshofes« am 14. Juli 1934 von Reichsjustizminister Franz Gürtner »bei Gott dem Allmächtigen und Allwissenden« einschwören und das »Schwert des Gesetzes« in die Hand legen lassen hatten. Assistiert von willfährigen »Rechtsgelehrten«, tatkräftig unterstützt von den Mordtruppen der SS und der Gestapo sowie »volkstreuen« Denunzianten wurden unter Freislers Vorsitz bis in die Apriltage des Jahres 1945 über 2600 Todesurteile ausgesprochen - gegen Menschen, die als »Feinde« ausgemacht worden waren. Gegen die es galt, »die heiligsten deutschen Werte« zu verteidigen. Das brachte »Arbeit« für den VGH, eine »organische Schöpfung des nationalsozialistischen Staates« und »Ausdrucksform der nationalsozialistischen Grundauffassung auf dem Gebiet der Rechtsprechung«, wie das NS-Blatt »Völkischer Beobachter« schrieb.

Roland Freisler, Jahrgang 1893, Mitglied der NSDAP seit 1924 und Teilnehmer an der Wannseekonferenz 1942, hatte sich schon als Staatssekretär im Reichsinnenministerium an Hitlers Ankündigung vom 30. September 1930 gehalten, nach der »Machteroberung« werden »auch Köpfe rollen«. Seine große Stunde kam, als er am 15. Oktober 1942 zum Präsidenten des »Volksgerichtshofes« berufen wurde. Das war, wie Ortner schreibt, der Beginn, der »gnadenlosesten Ära« dieses Tribunals. Freisler selbst postulierte 1937: »Die Amtsgewalt des Führers ist über alle Kompetenz ... Die Amtsgewalt des Führers ist total.«

Wie total, ist im siebten der zehn Kapitel dieses Buches nachzulesen. Da werden zehn ausgewählte Todesurteile zitiert, die unter Freisler wegen eines Angriffs »auf die seelische Kriegskraft unseres Volkes« beschlossen wurden, gegen »Verräter«, »Defätisten«, »Volksschädlinge«, »Wehrkraftzersetzer« und »Zersetzungspropagandisten«, ein Begriff, den Freisler schuf.

Es wäre zu wünschen, dass Ortners faktenreiches Buch in keinem Verzeichnis der Pflichtliteratur angehender Juristen fehlt.

Helmut Ortner: Der Hinrichter. Roland Freisler - Mörder im Dienste Hitlers. Wissenschaftliche Buchgesellschaft. 340 S., geb., 24,90 €.

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