Habemus Merkel

Leipziger Buchmesse: Kanzlerinnenbücher und Deutschlandbilder

Die Merkologie hat viele Jünger. Und es werden mit jedem Jahr mehr. Buchmessen sind die Stunde ihrer Offenbarung. Im vergangenen Jahr bezichtigte Gertrud Höller »Die Patin« (Orell Füssli) der »Sozialdemokratisierung« der CDU, lamentierte über die Zerstörung »christlicher« und »liberaler« Werte durch die Kanzlerin, die - in der DDR aufgewachsen, ergo diktaturgeschädigt - nur auf Macht aus sei. Eine Buchmesse zuvor warf Cora Stephan ihre Anklageschrift auf den Markt: »Angela Merkel. Ein Irrtum« (Knaus Verlag). Die einst mit Joschka Fischer und Daniel Cohn-Bendit der Spontiszene in Frankfurt am Main angehörende und zu einer Linkenhasserin avancierte Publizistin, zwischenzeitlich Mitglied der Merkelschen Fangemeinde, vermisst ideologische Klarheit bei der CDU-Chefin, die ihr zudem zu sehr in die liberale Mitte gerückt ist.

Dies sei nicht wahr, interveniert nun Stephan Hebel. Der Redakteur der »Frankfurter Rundschau«, der nach eigenem Bekunden noch nie im Kanzleramt Rotwein getrunken hat und auch nie zu Hintergrundgesprächen bei Politikern eingeladen war, widerspricht den Kritikern aus dem konservativen Lager. Angela Merkel habe keineswegs den Kompass verloren, setze den Kurs fort, den sie auf dem Leipziger Parteitag 2003 vorgegeben hat: Neoliberalismus in Reinkultur. Er will mit seinem neuen Buch »Mutter Blamage« das grandiose Betrugsmanöver der Kanzlerin entlarven: »Die Kanzlerin hat ein Programm. Sie hat erkannt, dass es viel wichtiger für sie ist, sich wählbar zu machen - weit über die eigene Klientel hinaus. Sie hat auch erkannt, dass dies durch weitgehende Unkenntlichkeit der eigentlichen politischen Absichten, durch vermeintliche Überparteilichkeit und durch selektive Selbstbedienung bei der Programmatik fast aller Parteien am besten funktioniert.« Die Bilanz zu Ende ihrer zweiten Legislaturperiode zeige: Der Betrug hat hervorragend geklappt. »Die Kanzlerin des Neoliberalismus hat es geschafft, sich als Kanzlerin für alle zu verkaufen.«

Mit der angeblich »mächtigsten Frau der Welt« sei Deutschland aggressiver geworden, nach außen für Freund und Feind unberechenbarer denn je seit dem Zweiten Weltkrieg sowie nach innen ungerechter und reformunfähiger als sogar unter der bleischweren Regentschaft des Helmut Kohl, so Hebel. Sie hat Europa dem Modell Deutschland unterworfen und immer wieder alle vernünftigen, solidarischen und sozial gerechten Lösungsvorschläge zur Überwindung der europäischen Krise verworfen - aus nationalem Egoismus und in fanatischer Gläubigkeit in die »Märkte«.

Hebel ist aber optimistisch. Es gäbe »eine begründete Hoffnung«, dass Angela Merkel als Kanzlerin abgewählt wird - wenn sich SPD, Grüne und die Linkspartei ihrer Gemeinsamkeiten besinnen. Und diese seien nicht gering. Zur Überwindung der Euro- und Bankenkrise sprechen sich alle drei Parteien für eine von Angela Merkel verteufelte »Vergemeinschaftung« der Schulden, Bankenregulierung und Vermögenssteuer aus. Alle drei sind für die Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohnes und für die Verschärfung der Richtlinien für den Waffenexport. Nun, um Hebels Hoffnung zu erfüllen, eine rot-grün-rote Mehrheit im Herbst zu erringen, müsste allerdings der SPD-Kanzlerkandidat über seinen Schatten springen. Zudem: Laut Umfrageergebnissen, in denen die Kanzlerin unangefochten die Beliebtheitsskala anführt, scheint die Mehrheit der deutschen Bevölkerung keineswegs Hebels Urteil über »Mutter Blamage« zu teilen. Das Phänomen versucht auch eine weitere Neuerscheinung zu ergründen: »Die Kanzlerin und ihre Welt«. Stephan Kornelius zeichnet den Weg der Pastorentochter aus Templin an die Spitze Deutschlands und der europäischen Staatenlenker nach.

Auch die Deutschlandbilder im Ausland werden in starkem Maße von »ihr« geprägt, wie ein von Hanni Hüsch, ARD-Korrespondentin, herausgegebener Band belegt. Die Franzosen seien auf seltsame Weise fasziniert: eine Frau, die ihre Weiblichkeit derart unbedeutend zu finden scheint und trotz modischer Defizite attraktiv ist. »Allerdings nur, solange ihnen dieses ›modèle allemand‹ nicht zu penetrant vor die Nase gehalten wird. Dann reagieren sie allergisch«, berichtet Michael Strempel aus Frankreich. Respekt mischt sich aber auch mit Vorwürfen: Sie betreibe eine Politik »à la Bismarck«, »madame la rigeur« (»Spar-Dame«) sei die neue Zuchtmeisterin Europas. Auch in Moskau und Peking changieren die Urteile über sie zwischen Anerkennung und Ablehnung Merkelscher Anmaßungen. Merry Old England wiederum nimmt die deutsche Herausforderung entspannter auf. So informiert Annette Dittert, dass man in Großbritannien - als Deutscher geoutet - schon mal mit der Frage konfrontiert wird: »Angela Merkel really does have a sense of humor, doesn’t she?« (Merkel hat doch einen gewissen Sinn für Humor, oder?).

Bleibt die Frage, ob es im Herbst dieses Jahres wieder heißen wird: Habemus Merkel.

Stephan Hebel: Mutter Blamage. Warum die Nation Angela Merkel und ihre Politik nicht braucht. Westend. 157 S., br., 13,99 €.

Stefan Kornelius: Angela Merkel: Die Kanzlerin und ihre Welt. Hoffmann und Campe. 256 S., 19,99 €.

Hanni Hüsch (Hg.): So sieht uns die Welt. Ansichten über Deutschland. Top-Auslandskorrespondenten berichten. Westend. 255 S., br., 17,99 €.

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