Kampfhund gegen Sauerkraut

Thatcher:Germany - 0:1

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 3 Min.

Bereits im Oktober 1989 warnte die konservative britische Tageszeitung »The Times« vor dem Entstehen eines »vierten Reiches« und erlaubte sich folgende Zukunftsprognose im Falle einer deutschen Wiedervereinigung: »Nationalistische Intellektuelle werden erklären, dass wahre Deutsche über den Holocaust keine Schuld, sondern Stolz über das große, mutige und heilende Vorgehen empfinden sollten.« Es sollten noch einige Jahre vergehen, bis Botho Strauß seinen »Bocksgesang« anstimmte (1993) und Martin Walser seine Friedenspreisrede (1998) hielt, doch die Mutmaßungen der »Times« waren - bei aller Übertreibung - nicht nur der kulturpessimistische Sums, für den mancher ihn anfangs hielt.

Auch die Befürchtung, die Margaret Thatcher im Dezember 1989 äußerte, nach dem Fall der Berliner Mauer, war so abwegig nicht: »Zweimal haben wir die Deutschen geschlagen. Jetzt sind sie wieder da.« Die Deutschen hatten es im 20. Jahrhundert immerhin fertiggebracht, zwei Weltkriege anzuzetteln, Europa zu versklaven und einen industriellen Massenmord zu begehen. Dass im Ausland der eine oder andere Bedenken hatte, den deutschen Nationalcharakter ein weiteres mal zu sich selbst kommen zu lassen, dürfte verständlich sein. Thatcher befürchtete darüber hinaus, dass es zur ökonomischen Dominanz eines expandierten Deutschlands über ganz Europa kommen könnte. Innerhalb der Bundesrepublik hingegen wurde die Gefahr, die aus einem wiedererwachenden, spezifisch deutschen Nationalismus erwachsen könnte, von den meisten nicht erkannt. Nur ein kleiner Teil der Bevölkerung beider deutscher Staaten stand einer Wiedervereinigung gleichgültig oder gar skeptisch gegenüber.

Die SPD verspürte, wie meist in ihrer Geschichte, selbst heftige patriotische Wallungen, verharmloste den nationalistischen Taumel, in dessen Verlauf die Parole »Wir sind das Volk« rasend schnell zum Ausruf »Wir sind ein Volk« mutierte, und kannte nur noch Deutsche. Bei den Grünen herrschte Ratlosigkeit und die Angst, potenzielle Wähler zu verschrecken, wenn man sich der tränenseligen Feier des deutschen Kollektivs entzog. Selbst die Alliierten akzeptierten klaglos den Lauf der Dinge.

Thatcher blieb unnachgiebig. Die Aussicht auf ein wiedervereinigtes Deutschland mit wachsender militärischer und wirtschaftlicher Stärke und imperialistischem Eroberungsdrang, wie es die Politikerin seinerzeit befürchtete, machte hierzulande nur einigen Kommunisten, Linksautonomen und ein paar linken Publizisten Sorgen. Das Ergebnis war eine sonderbare Allianz: Bei aller Verachtung, die man für Thatcher empfand, die Augusto Pinochet zu ihren Kumpels zählte und die man als einen von der Leine gelassenen Kampfhund des Kapitals wahrnahm, war man sich unter kritischen deutschen Linken zumindest in einer Sache mit ihr einig: Dass die Deutschen den Zweiten Weltkrieg verloren hatten, das sollten sie gefälligst auch merken.

»Ihr Deutschen wollt nicht Deutschland in Europa verankern. Ihr wollt den Rest Europas in Deutschland verankern.« Sätze, denen Linke heute zustimmen müssten. Ausgesprochen hat sie Margaret Thatcher 1993 in einem Interview mit dem »Spiegel«.

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