Ziercke appelliert an Zivilgesellschaft

BKA-Chef verlor auf Hamburger Gewerkschaftstagung kein Wort über Drangsalierung von Antifaschisten

  • Reinhard Schwarz
  • Lesedauer: 3 Min.
Zivilgesellschaftliches Engagement soll braunes Gedankengut bekämpfen, so BKA-Chef Jörg Ziercke Ende vergangener Woche auf einer Tagung des DGB Nord in Hamburg. Doch kein Wort davon, dass gerade dieses Engagement von Seiten des Staates und der Justiz immer wieder behindert und strafrechtlich verfolgt wird.

Alltäglicher Rassismus, Diskriminierung, Angriffe auf Migranten, Antisemitismus: Seit Jahren nehmen die Übergriffe auf Menschen anderer Hautfarbe oder Religion zu. Vorläufiger Höhepunkt dieser Entwicklung sind die Morde der Nazi-Terrorgruppe NSU, denen zehn Menschen zum Opfer fielen. Doch wie kommt das braune Gedankengut in die Köpfe - und wie wieder heraus? In Hamburg hatte der DGB Bezirk Nord zu einer Tagung unter dem Titel »Verantwortung übernehmen im Norden - gegen Rechtsextremismus und Gewalt« eingeladen.

Im Rudolf-Steiner-Haus trafen sich rund 100 Mitglieder von Präventionsräten aus Städten und Gemeinden, um anschließend in vier Workshops über dieses Thema zu beraten. Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) begrüßte die Tagungsteilnehmer und erklärte: »Der braune Mob hat in Hamburg nichts zu suchen.«

Jörg Ziercke, Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), hielt das Grundsatzreferat mit dem Thema »Bekämpfung des Rechtsextremismus - eine gemeinsame Aufgabe von Staat und Zivilgesellschaft«. Zwar sprach er ausführlich über neueste Taktiken der Neonazis im Internet, über Rechtsrock und autonome Kameradschaften, doch zu Ursachen von Neofaschismus und dessen gesellschaftlichen Hintergründen konnte - oder wollte - er nichts beitragen.

Ziel der NSU-Täter sei es gewesen, »Angst und Schrecken« durch eine »Propaganda der Tat« zu verbreiten. Dass aber »der Staat« bei der Aufklärung der NSU-Morde nicht nur versagte, dass Beweismittel geschreddert wurden und verschwanden, dass vom Verfassungsschutz geführte V-Männer in die Taten verstrickt waren und dafür noch große Summen erhielten und die Verfassungsschützer den Kollegen der Landeskriminalämter Informationen vorenthielten - davon kein Wort. Vielmehr entwarf Ziercke das Bild einer scheinbar idyllischen »Zivilgesellschaft«, die gemeinsam mit dem Freund und Helfer, der Polizei, das Problem der rechten Gewalt schon irgendwie in den Griff bekommt. Dass Neonazi-Übergriffe seit Jahren von den Behörden bagatellisiert werden, rechte Aufmärsche in Hamburg von riesigen Polizeiaufgeboten unter den jeweiligen SPD- oder CDU-Innensenatoren routinemäßig geschützt werden, Antifaschisten hingegen ruppig bis feindselig behandelt werden, kommen in dieser Analyse nicht vor.

Mit Bezug auf eine aktuelle Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung erklärte er, dass »Rechtsextremismus kein Randproblem mehr ist, sondern die Mitte der Gesellschaft« erreicht habe. Notorisch vermied Ziercke den Begriff Faschismus, der auf historische Ursachen verweisen könnte. Im Hintergrund konnte man die offizielle Geschichtsklitterung erahnen, wonach »Radikale von rechts und links« die Weimarer Republik zerstört hätten.

Wenn also die Gesellschaft bereits in ihrer Mitte »rechtsradikal« infiziert ist, stellt sich die Frage, wie die »Zivilgesellschaft« - ein ideologisches Konstrukt, das schon der italienische Marxist Antonio Gramsci untersuchte - diese Tendenzen überhaupt bekämpfen soll. Auf staatlicher Ebene setzt Ziercke auf vernetzte Organisationen wie das GTAZ, das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum, und das GETZ, das Gemeinsame Extremismus- und Terrorabwehrzentrum. In beide Organisationen sind auch die Verfassungsschutzämter der Länder involviert, also gerade jene staatlichen Organe, die bei der Aufklärung der NSU-Morde und deren Umfeld »versagt« haben.

Auf der Ebene der Zivilgesellschaft sei eine »Präventionsarbeit« notwendig, so Ziercke: »Polizei und Justiz sind sicherlich notwendige Akteure, wichtiger sind aber zivilgesellschaftliche Anstrengungen vor Ort.« Dass (linke) Antifaschisten seit Jahrzehnten in Städten wie Hamburg dafür gesorgt haben, dass Neonazis hier nur unter massivem Polizeischutz demonstrieren können, verschwieg der BKA-Chef.

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