»Wir greifen Krisenprofiteure an«

Frankfurt als Drehkreuz internationaler Politik - Martin Sommer vom »...ums Ganze!«-Bündnis über Blockupy

  • Lesedauer: 4 Min.
Martin Sommer ist Sprecher der autonomen antifa [f]. Die Gruppe aus Frankfurt am Main ist im Ums-Ganze-Bündnis organisiert, das die Blockupy-Proteste mit vorbereitet. Mit dem 29-Jährigen sprach Niels Seibert.

nd: Der Frankfurter Oberbürgermeister hat angedeutet, dass Blockupy zu Frankfurt gehört wie Adorno und die Satirezeitschrift Titanic. Hat er recht?
Martin Sommer: Blockupy kommt nach Frankfurt aufgrund der spezifischen Konstellation politischer und ökonomischer Institutionen in der Stadt. Mit der Europäischen Zentralbank (EZB) sitzt hier ein entscheidendes Machtinstrument der Troika, der Flughafen ist als internationales Drehkreuz wichtig für die Infrastruktur der Euro-Zone. Insofern gehört Blockupy nicht zu Frankfurt, sondern Blockupy gehört an all die Orte, an denen sich das europäische Krisenregime verdichtet. Bei den Aktionstagen wird der Widerstand gegen die herrschende Krisenpolitik neben anderen Zielen also an die EZB und an den Frankfurter Flughafen getragen.

Machen Sie und ihr kommunistisches „...ums Ganze!“-Bündnis nicht etwas falsch, wenn die Stadt Ihre Protestaktionen willkommen heißt?
Für uns ist zweitrangig, ob die Stadt die Aktionstage verbietet oder sie willkommen heißt – zumal wir nach dem langen Hin und Her um einen Camp-Platz etwas anderes unter einem „Willkommen“ verstehen. Mit Blockupy senden wir ein Signal der Solidarität an all die Menschen, die sich in den südeuropäischen Ländern fortschrittlich gegen die Durchsetzung der europäischen Krisenpolitik engagieren. Dass das ankommt ist wichtig. Außerdem greifen wir Krisenprofiteure in Deutschland an, deren Umsatz dank der Notlage in Südeuropa steigt. Und wir wollen in Deutschland den Diskurs darüber führen, was die kapitalistische Krise mit den hiesigen Lebensbedingungen zu tun hat und zur Diskussion über Alternativen zum Kapitalismus einladen.

Im vergangenen Jahr organisierten Sie zum europaweiten M31-Aktionstag Ende März eine Demonstration in Frankfurt, die von der Polizei gestoppt und teilweise eingekesselt wurde. Daraufhin gingen in der Frankfurter Innenstadt Schaufenster und Autoscheiben zu Bruch. Die Polizei sprach von über einer Million Euro Sachschaden. Dieses Ereignis hat sich auch auf den Verlauf der Blockupy-Proteste im Mai 2012 ausgewirkt: Presse und Polizei malten ein Horrorszenario an die Wand, die Stadt sprach ein Totalverbot aus, 30.000 Menschen kamen gerade deswegen zur Blockupy-Demo. Fehlt 2013 so ein Ereignis?
Es ist ja nicht so, dass die Linke nur auf die Straße geht, wenn es um die – auch wichtige – Verteidigung bürgerlicher Grundrechte geht. Der Blockupy-Diskurs geht in diesem Jahr über die Verteidigung der Demonstrationsfreiheit hinaus und macht damit Platz für weitergehende Inhalte. M31 stand für ein klares antikapitalistisches und antinationales Signal in Europa. Einiges davon ist auf Blockupy übergegangen. Antikapitalistische und reformismus-kritische Positionen sind dieses Jahr stärker im Bündnis vertreten und werden sichtbarer. Das hat, so hoffen wir, auch positive Auswirkungen auf die Beteiligung der radikalen Linken an den Aktionstagen in Frankfurt.

Sie beteiligen sich in diesem Jahr erstmals in der Blockupy-Vorbereitung. Wie erleben Sie die Bündnisarbeit?
Anstrengend, aber positiv. Sich auf Positionen zu einigen birgt immer das Risiko, dass die eigenen Inhalte verwässern – andererseits führt kein Weg an der Zusammenarbeit mit anderen fortschrittlichen Kräften vorbei. Abgesehen davon braucht so ein Großereignis natürlich enorm viel Vorbereitung, die ohne die Vielzahl der Aktivistinnen und Aktivisten gar nicht zu stemmen wäre.

Sie rufen dazu auf, am 31. Mai nach der vormittäglichen Blockade der Europäischen Zentralbank am Nachmittag am Frankfurter Flughafen gegen das rassistische Grenz- und Abschieberegime der EU zu demonstrieren. Warum greift Ihre Antifagruppe ein Thema auf, das bislang vor allem antirassistische Zusammenhänge beackert haben?
Antifaschismus und Antirassismus sind inhaltlich gar nicht zu trennen, sondern höchstens differenziert als Arbeitsfelder unterschiedlicher Gruppen aus der radikalen Linken. Zum anderen beobachten wir in der Krise eine Verschärfung des Rassismus im Diskurs und auf der Straße, unter dem vor allem Roma, Flüchtlinge und andere Migranten zu leiden haben. Staatlich begleitet wird der Rassismus durch die Grenz- und Abschiebepolitik in der EU, die sich besonders am Frankfurter Flughafen zeigt.

Nach Blockupy wird in der EZB und auch am Flughafen wieder kapitalistischer Normalbetrieb herrschen. Wie wird es von Ihrer Seite weitergehen?
Wir bleiben an den Themen dran. Am ersten Juliwochenende veranstalten wir in der TU Berlin den dritten „...ums Ganze!“-Kongress, bei dem es um die Auseinandersetzung mit der europäischen Krisenpolitik aus analytischer und praktischer Perspektive geht. Dafür haben wir eine ganze Reihe Referentinnen und Referenten aus verschiedenen Ländern gewonnen.
Zudem beginnt gerade eine Diskussion über die praktische Unterstützung eines europäischen Generalstreiks im Herbst. Das M31-Netzwerk hat dazu einen Aufruf zur Teilnahme mit eigenen Aktionen veröffentlicht. Wir hoffen auf eine breite Debatte in der Linken über die Möglichkeiten solch einer aktiven Solidarität und auf die Bedingungen dafür im generalstreik-freien Deutschland.
Und dann ist da ja noch die angekündigte Eröffnung des EZB-Neubaus in Frankfurt im Frühjahr 2014. Das könnte ein guter Termin sein, um als europäische Linke gemeinsam unseren Frust über die verheerenden Folgen der Krisenpolitik auszudrücken.

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