Bunter, Schwarzer Block

Der Frankfurter Kessel ist ein Symbol der Postdemokratie

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 4 Min.
Proteste im Zentrum der Macht sind nicht erwünscht, wie das Vorgehen der Polizei in Frankfurt zeigt. Nur solidarisch kann Europa aus der autoritär-neoliberalen Krisenpolitik der Troika herauskommen.

Der Schauspieler Keanu Reeves hat als Protagonist Neo im Science-Fiction-Klassiker »Matrix« die Wahl zwischen einer roten und einer blauen Pille. Er entscheidet sich für die rote - also gegen die Matrix, das System, das ihn unterdrückt und ausbeutet. Wie Neo wählen seit dem Beginn der Wirtschaftskrise in Europa immer mehr Menschen die rote Pille. Sie sagen »Ja« zum Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit und Sparzwang und »Nein« zum neoliberalen »Augen zu und durchhalten«. Vor allem in den südlichen Krisenländern haben viele Menschen angesichts explodierender Arbeitslosigkeit keine andere Wahl.

Auch in Deutschland nahmen vergangene Woche wieder Tausende Menschen die rote Pille. Sie gingen am Samstag gegen das Krisenregime der Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds auf die Straße. Was Schwarz-Gelb - diesmal die hessische Landes- und nicht die Bundesregierung - davon hielt, zeigte sie den Kapitalismusgegnern und -kritikern sogleich. Nach wenigen hundert Metern wurde die Demonstration von martialisch auftretenden Polizisten gestoppt. Rund 1000 Teilnehmer wurden von den Ordnungshütern gekesselt. Als Legitimation für diese Aktion diente ein angeblich vermummter und bewaffneter Schwarzer Block.

Doch wie sah dieser Schwarze Block aus? Er war bunt. Vielleicht war auch das eine oder andere dunkle Bekleidungsstück zu sehen, doch die meisten Kapitalismusgegner trugen blaue, grüne, gelbe oder rote Jacken. So mussten dann Sonnenbrillen, Regenschirme, Schals und Transparente der Polizei in ihrer Begründung als Vermummungsgegenstände und Bewaffnungen dienen.

Die Eingekesselten waren nicht die von der hessischen Polizei prophezeiten 2000 Gewaltbereiten, die angeblich zu der Demonstration anreisen wollten. Sie blieben im Gegensatz zu den Beamten friedlich. In der Tat war die Stimmung in den Stunden des Wartens auf das Vorgehen der Polizei gespannt. Sie entlud sich plötzlich, als der Lautsprecherwagen das Elektropoplied »We are your friends« spielte. Zum Refrain fing der Kessel an zu tanzen. Die beiden Textzeilen fassten die gelebte friedliche Solidarität unter der Protestierenden zusammen: »'Cause we are your friends, you'll never be alone again.« (Deutsch: »Weil wir Deine Freunde sind, wirst Du nie wieder alleine sein.«)

Da von der Demonstration keine wirkliche Gefahr ausging, warum also dann das brutale Vorgehen der Polizei? Die hessische Landesregierung aus CDU und FDP wollte einfach nicht, dass der Demonstrationszug an der EZB vorbei ziehen konnte. Sie setzte sich dabei über eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Frankfurt hinweg, das die Route des Blockupy-Bündnisses erlaubt hatte, und setzte de facto das elementare Grundrecht auf Versammlungsfreiheit außer Kraft. Schließlich ist die EZB-Zentrale ein herausragendes Symbol der herrschenden Krisenpolitik in Europa. Proteste an diesem Ort wären ein Zeichen, dass viele Menschen auch in Deutschland nicht mehr hinter der herrschenden neoliberalen Politik stehen.

Das harte Vorgehen der Polizei zeigt, dass wir immer mehr in Zeiten einer Postdemokratie eintauchen. In diesem politischen System, das der britische Politikwissenschaftler Colin Crouch auf einen Begriff brachte, gibt es zwar noch freie Wahlen. Doch der wirkliche Souverän ist nicht mehr das Volk, sondern die Wirtschaftslobbisten. Nur noch die Interessen des Marktes bestimmen die Politik. Die breite Bevölkerung soll apathisch sein und möglichst nicht für ihre Interessen auf die Straße gehen.

Der Kessel in Frankfurt ist dabei nur die Spitze des Eisberges. Das Aushöhlen demokratischer Grundrechte ist das gängige Prinzip der europäischen Krisenpolitik geworden. Mitunter werden in besonders brenzlichen Zeiten ohne demokratische Legitimierung Technokratenregierungen eingesetzt, wie es bereits in Italien unter Mario Monti der Fall war. Zukünftig soll nach dem Willen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) durch einen EU-Wettbewerbspakt eine »Troika für alle« geschaffen werden, um so wirtschaftspolitische Alternativen zur Austerität unmöglich zu machen.

Wie kann die europäische Bevölkerung nun gegen diese Entwicklung ankämpfen? Vielleicht liegt die Antwort schon im Verhalten des Frankfurter Kessels. Die Europäerinnen und Europäer haben alle die Wahl, die rote Pille zu nehmen, mit dem Singen von »You'll never be alone again« anzufangen und die Verhältnisse gemeinsam zum Tanzen zu bringen.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal