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Hochwasser: 23.000 Menschen in Magdeburg zum Verlassen ihrer Wohnungen aufgefordert

Lage weiterhin vielerorts dramatisch / Bundesregierung plant Flutgipfel / Flutwelle rollt weiter nach Norden

  • Lesedauer: 5 Min.

Berlin (Agenturen/nd). Das Hochwasser der Elbe hat Magdeburg noch wesentlich stärker getroffen als befürchtet und überflutete allmählich Teile der Stadt. Die Pegel stiegen am Sonntag auf historische Rekordstände. Die Bundeswehr versuchte mit 700 Soldaten, das Umspannwerk im Stadtteil Rothensee und damit die Stromversorgung in Betrieb zu halten. Rund 23 000 Bewohner in östlichen Stadtteilen wurden am Sonntagnachmittag aufgefordert, vorsorglich ihre Wohnungen zu verlassen.

Der Katastrophenstab der Stadt habe sich zur Räumung der östlichen Stadtteile entschieden, weil der Hochwasserscheitel eine Länge von rund 40 Kilometern habe und mehrere Tage gegen die Deiche drücken werde, teilte der Krisenstab der Landesregierung mit. Betroffen sind rund zehn Prozent der Bevölkerung Magdeburgs. Am Sonntag lag der Pegelstand an der Strombrücke in der Innenstadt von Magdeburg bei rund 7,45 Meter. Das sind 25 Zentimeter mehr als erwartet und rund 70 Zentimeter höher als beim Jahrhunderthochwasser 2002. Experten gingen von einem weiteren Anstieg um fünf bis zehn Zentimeter bis zum Abend aus.

Der Stadtteil Rothensee, bekannt für seinen Güterhafen und zahlreiche Industrieanlagen, war zuvor bereits wegen des eindringenden Wassers geräumt worden. Davon waren 3000 Bewohner betroffen. Die Bundeswehr brachte einige Menschen noch mit Transportpanzern in Sicherheit und errichtete mit 700 Soldaten rund um das Umspannwerk einen Deich.

Magdeburgs Oberbürgermeister Lutz Trümper (SPD) bat die Bürger, den Aufforderungen zur Räumung von einzelnen Stadtteilen Folge zu leisten. «Wir müssen auf alles gefasst sein», schrieb er in einem offenen Brief. Auch der Stadtteil Werder, der auf einer Insel in der Elbe liegt, war schwer von dem Hochwasser getroffen. Die Pumpen liefen dort auf Hochtouren.

In den Stadtteilen im Osten der Stadt hofften die Menschen, dass Deiche an einem Umflutungskanal halten und das Hochwasser nicht über die Kanalisation eindringt. Die Stadt richtete Notquartiere ein, zahlreiche Straßen waren gesperrt, Straßenbahnlinien eingestellt. In den kommenden Tagen soll sich der Hochwasser-Scheitel langsam in den Norden des Landes verlagern, wo ebenfalls Katastrophenalarm herrscht.

Erleichterung in der Bitterfeld: 10.000 Menschen aus dem östlichen Teil der Stadt und dem Ort Friedersdorf können in ihre Häuser zurück. Helfern und Soldaten der Bundeswehr ist es gelungen, ein Leck an einem Deich an dem See Goitzsche zu schließen. Es drohe nun keine akute Gefahr mehr, dass Wassermassen aus dem See nach Bitterfeld strömen, teilte der Landkreis Anhalt-Bitterfeld mit.

Die Lage in den Hochwassergebieten im Osten Deutschlands hat sich in der Nacht zum Sonntag weiter zugespitzt. Vor allem in Magdeburg und Wittenberge sehen viele Menschen den kommenden Stunden mit Anspannung entgegen - eine ungewisse Zeit zwischen Hoffen und Bangen.

Bei Wittenberge (Brandenburg) hatte das Hochwasser der Elbe bereits am Samstagabend einen historischen Höchststand von 7,50 Meter erreicht. Rund 1500 Bewohner der Altstadt wurden daraufhin aufgefordert, ihre Häuser zu verlassen. „Bisher wurde das Angebot aber nur sehr verhalten angenommen“, sagte ein Sprecher des Krisenstabs am Sonntagmorgen. Einige Bewohner wurden mit Bussen in eine Notunterkunft gebracht.

Zahlreiche Helfer und Bundeswehrsoldaten hatten noch am Samstag 35.000 Sandsäcke an die Deiche bei Mühlberg (Brandenburg) geschleppt. „Bis zum frühen Sonntagmorgen haben die Helfer unermüdlich an den Brennpunkten gearbeitet“, sagte ein Sprecher des Katastrophenstabs. Erst in drei bis vier Tagen gebe es wohl eine spürbare Entspannung. Bis dahin müssten die Dämme halten. Und noch länger - denn auch das abfließende Wasser drücke noch mit einer gewaltigen Wucht gegen die Deiche.

Über Soziale Netzwerke im Internet gingen zahlreiche Hilfsangebote: Menschen boten freie Plätze in Autos, um in die Hochwassergebiete zu gelangen und dort Hilfe zu leisten; andere suchten nach Mitfahrgelegenheiten.

Die Pegelstände in Sachsen sind in der Nacht zum Sonntag weiter gesunken. Die Lage an der Elbe bleibt aber angespannt - mindestens bis Montag. Denn noch immer macht das nur langsam abfließende Wasser den Deichen zu schaffen. In vielen Orten gehen die Aufräumarbeiten weiter. Ob der angekündigte Regen zu neuen Problemen führen wird, sei derzeit noch völlig ungewiss, hieß es.

Nahe Großtreben-Zwethau (Sachsen) waren Einsatzkräfte am Samstag weiter damit beschäftigt, eine defekte Klappe in einem Deich zu schließen - Wasser strömte aus. Mehrere Häuser mit 50 Bewohnern wurden geräumt, wie ein Sprecher des Landratsamts Nordsachsen am Samstag berichtete. Rund 400 andere Einwohner des Ortes seien ebenfalls zum Verlassen ihrer Häuser aufgefordert worden, die meisten seien jedoch geblieben.

Die Flutwelle rollte in der Nacht zum Sonntag weiter gen Norden. In Norddeutschland könnte sich die Lage stärker zuspitzen als zunächst vorhergesagt. Experten korrigierten Prognosen für Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein deutlich nach oben.

Bundesweit stemmen sich rund 70.000 Feuerwehrleute und 11.000 Bundeswehrsoldaten gegen die Flut. Mindestens sieben Menschen starben, mehrere werden vermisst. Für die kommenden Tage sagen Meteorologen schon wieder Starkregen in der Mitte und im Süden Deutschlands sowie in Tschechien und Polen voraus.

An diesem Sonntag wird Bundespräsident Joachim Gauck im Katastrophengebiet erwartet. In Halle an der Saale (Sachsen-Anhalt) ist ein Besuch in einer von der Flut beschädigten Kindertagesstätte geplant, in Meißen (Sachsen) will er mit Flutopfern und Helfern sprechen.

Wo das Wasser schon wieder abfließt, bleiben stinkender Schlamm und Sperrmüllberge zurück. Viele Anwohner sind fassungslos. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) versprach den Flutopfern, man werde beim Wiederaufbau alles tun, was möglich sei. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) deutete in der „Passauer Neuen Presse“ an, dass die Hilfen für Flutopfer aufgestockt werden könnten. Bisher hat der Bund 100 Millionen Euro Soforthilfe zugesagt.

Angesichts der Hochwasser-Schäden plant die Bundesregierung nach Informationen der „Leipziger Volkszeitung“ zudem einen nationalen Flutgipfel. Dabei solle zusammen mit allen Ministerpräsidenten der Länder eine faire Lastenverteilung bei der Bewältigung der Flutschäden gewährleistet werden, berichtet das Blatt. Die Kosten dürften nicht allein beim Bund und den direkt betroffenen Bundesländern hängen bleiben. „Das bedeutet ganz praktisch: Die finanziellen Mittel zum Schadensausgleich müssen nicht nur vom Bund und von Europa, sondern auch von allen Bundesländern in einer gemeinsamen Kraftanstrengung aufgebracht werden“, sagte Hasselfeldt. „Darüber werden die Bundesrgierung unter Führung von Angela Merkel und alle Ministerpräsidenten gemeinsam auf Spitzenebene zu beraten haben.“

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