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Hasskappen weichen Regenschirmen

Als das Vermummungsverbot eingeführt wurde, trugen Demonstranten noch Motorradhelme

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 4 Min.
Den Kessel bei der Blockupy-Demonstration in Frankfurt am Main begründete die Polizei mit dem Vermummungsverbot. Dieses ist unzeitgemäß und dient heute lediglich als Hebel des polizeilichen Ausnahmezustandes.

Der Frankfurter Fotograf Eduardo Perez hat vergangene Woche unter dem Titel »Neue Vermummungsrichtlinien« Models mit Sonnenbrille und Schirm abgelichtet – als Solidaritätsbekundung für die eingekesselten Blockupy-Demonstranten. Am 1. Juni waren bei einem Protestmarsch gegen die etablierte Krisenpolitik in Frankfurt am Main rund 1000 Menschen bis zu zehn Stunden von der Polizei eingekesselt worden.

Die bunten Sonnenschirme und die von der Polizei bei der Blockupy-Demo als passive Bewaffnung eingestuften Styroporschilder, auf denen »Dialektik der Aufklärung« oder »Die einen haben Kapital – wir lesen es« stand, kennt man in ähnlicher Form aus Italien. Dort gehören sie zum Demonstrationsrepertoire der studentischen Bewegung und der Tute Bianche – die ihrem Namen entsprechend gepolsterte weiße Overalls trugen, um sich auf Demos besser zu schützen.

Der Bielefelder Strafrechtsprofessor Christoph Gusy stufte im FAZ-Interview die Styroporschilder eher als Karikatur denn als Passivbewaffnung ein, mit der sich Demonstrationsteilnehmer ernsthaft gegen die Maßnahmen der Polizei wehren könnten. Mit Hasskappen und Motorradhelmen, wie sie in den 1980ern von Autonomen auf Demonstrationen in Wackersdorf oder in der Hamburger Hafenstraße getragen wurden, haben diese spielerischen Elemente nichts zu tun.
Von 1985 an galt es als Ordnungswidrigkeit, sich auf Demonstrationen zu vermummen, war damit also faktisch so kriminell wie Falschparken. Teilnehmer linker Demonstrationen vermummten sich in den 1970ern aus Angst vor Berufsverboten, zu einer Zeit als auch das Verweigern des Kriegsdienstes Nachteile für die berufliche Karriere bedeutete. Lehramtsstudenten, die später verbeamtet werden wollten, banden sich einen Schal vors Gesicht, wenn sie gegen Rüstungswahn oder Atomenergie auf die Straße gingen. Gleichzeitig wurde mit der Entwicklung der Rasterfahndung eine Kartei linksradikaler Systemkritiker eine verlockende Vorstellung für die Sicherheitsbehörden.

Insofern war die Parole »Gesicht zeigen!«, die vor allem der hessische Ministerpräsident Walter Wallmann (CDU) vertrat und mit der Konservative noch heute gegen Vermummung argumentieren, Teil einer sicherheitspolitischen Strategie, um gegen die nach 1968 erstarkte außerparlamentarische Linke vorzugehen und deren »Marsch durch die Institutionen« zu behindern. Dass diese damals umstrittene innenpolitische Logik der CDU zum gesamtgesellschaftlichen Konsens wurde, verwundert auch deshalb, weil die anonyme Teilnahme an Wahlen Grundvoraussetzung einer funktionierenden Demokratie ist. Für Demonstranten gilt dieses Recht auf Anonymität hierzulande nicht.

Bis 1989 zur Verabschiedung des Gesetzes eines »strafbewehrten Vermummungsverbotes«, wie Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann (CDU) das nannte, gab es auch in der damaligen schwarz-gelben Regierungskoalition eine lange Debatte. Vor allem die ehemaligen Innenminister von Nordrhein-Westfalen Burkhard Hirsch und des Bundes Gerhart Baum (beide FDP) waren gegen ein Vermummungsverbot. Der Druck auf die liberalen Gegner des Gesetzes nahm jedoch drastisch zu, als 1987 bei einer Demonstration an der Startbahn West zwei Polizisten von einem Vermummten erschossen wurden. Der Spiegel druckte damals beschämende Drohbriefe ab, die Hirsch und Baum in diesem Zusammenhang erhielten. »Ihr Juden, Baum und Hirsch, Beschützer der Verbrecher, müsst aus der deutschen Politik ausgeschlossen werden!«, hieß es da. Wie tief dieser ideologische Grabenkampf reichte, zeigt auch, dass die FDP in einem dieser Briefe sogar als »Urheberin aller Schandtaten, die Schutzpatronin der Verbrecher« diffamiert wurde.

Zusammen mit der Kronzeugenregelung, die überführten Straftätern bei einer Zusammenarbeit mit den Behörden eine Strafminderung beschert, wurde das Verbot schließlich 1989 vom Bundestag abgesegnet. Laut Hirsch bedeutete das, »Beweisschwierigkeiten dadurch zu lösen, dass die Straftatbestände maßlos ... ausgedehnt werden«. In der Folgezeit sah sich die Polizei bemüßigt, die neue Gesetzeslage regelmäßig mit ordnungspolitischen Eskalationsmaßnahmen auf der Straße durchzusetzen.

Nur wenige andere Länder haben ein Vermummungsverbot. In der Schweiz gilt ein solches lediglich in einigen Kantonen. Nach den jüngsten Krawallen vergangene Woche in Bern bei der sogenannten »Tanz dich frei«-Demo, die sich im Stil der Reclaim-the-Streets-Partys gegen die Kommerzialisierung des öffentlichen Raums richtete, wurde über ein nationales Vermummungsverbot abgestimmt, fand im Ständerat aber keine Mehrheit. In Österreich gilt das Vermummungsverbot seit 2002. In Italien wurde es in den 1970ern eingeführt, Fernseh- und Zeitungsbilder legen aber nahe, dass es kaum umgesetzt wird. In Frankreich wurde nach den Ausschreitungen bei der 50-Jahr-Feier der NATO 2009 in Straßburg über ein Verbot diskutiert – ohne Ergebnis. Und in Mexiko, wo sich ebenso Zapatisten in Chiapas wie jugendliche Anarchisten in Mexiko-City vermummen, gibt es dazu zurzeit eine offene Debatte. Auch in den USA gibt es kein generelles Vermummungsverbot, aber in New York ist es untersagt, dass sich bei einer Demonstration mehr als drei Personen maskieren.

Kann ein mehr als 20 Jahre altes Vermummungsverbot hierzulande heute noch Bestand haben? Der Aktionskonsens von Blockupy, sich nicht auf Auseinandersetzungen mit der Polizei einzulassen, wurde trotz Kessel und Polizeiübergriffen eingehalten. Das Gesetz ist vor allem für die Polizei immer wieder ein Hebel, um das Versammlungsrecht willkürlich außer Kraft zu setzen und den polizeilichen Ausnahmezustand zu verfügen.

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