Süß bewaffnet

Verfahren gegen Anmelder einer Kundgebung gegen Polizeigewalt eingestellt

Angeblich ging es gestern vor dem Amtsgericht Cottbus um Ruhestörung, in Wahrheit vermutlich darum, dass die Polizei schlecht mit Kritik an ihrer Arbeit umgehen kann - und am Rande drehte es sich auch um das absurde Verbot von Zuckerwatte bei einer Kundgebung gegen Polizeigewalt.

»Zuckerwatte, mhh lecker!« und »Solidarität ist eine Waffel«, steht mit Kreide auf den Fußweg der Cottbuser Thiemstraße gemalt. Zu lesen ist auch: »Gerichte sind zum Essen da.« Das hiesige Amtsgericht hat aber eine andere Funktion. Am Donnerstagmorgen soll Martin wegen Verstoßes gegen Versammlungsauflagen verdonnert werden. Der 26-Jährige hatte vor einem Jahr eine Kundgebung gegen Polizeigewalt angemeldet - vor der Wache am Bonnaskenplatz. Weil es damals nach 22 Uhr zu laut gewesen sein soll, wird ihm jetzt wegen angeblicher Ruhestörung der Prozess gemacht.

Eine Soligruppe versammelt sich schon eine halbe Stunde vor dem Termin am Gericht und macht auf das juristische Possenspiel aufmerksam. Auf der Wiese lasen sich ein Dutzend junge Leute nieder. Zwischen ihnen tollen zwei Kleinkinder umher. Ungefähr noch einmal so viele Menschen sind als Zuschauer ins Gericht hineingegangen. Draußen summt derweil ein kugeliges Elektrogerät. Der stolze Besitzer füllt Zucker ein. Der Zucker wird erhitzt, verflüssigt und dann herausgeschleudert. Der blonde Mann rührt mit einem Holzstäbchen herum und fängt die Masse auf. Fertig ist die gefährliche Waffe! Die meisten Menschen würden allerdings einfach nur Zuckerwatte dazu sagen. Mit dem millimeterdünnen Stäbchen jemanden zu verletzen, dürfte unmöglich sein. Es ist nicht einmal spitz.

Die Polizei hat jetzt nichts gegen Zuckerwatte. Doch im Juni vergangenen Jahres stellten sich die Beamten quer. Speisen und Getränke erlaubten sie bei der Kundgebung am Bonnaskenplatz nicht, und in Klammern fügten sie hinzu: »Auch keine Zuckerwatte.« Zur Begründung hieß es seinerzeit mündlich, zum Verzehren von Zuckerwatte werde Besteck benutzt; Besteck, das als Waffe verwendet werden könne.

Vielleicht gebe es ja wirklich Menschen, die sich nicht die Hände klebrig machen möchten und Besteck nehmen, mutmaßt der Besitzer des Zuckerwattegeräts. Aber gesehen hat er das auch noch nie. Gewöhnlich wird Zuckerwatte mit den Fingern oder gleich mit dem Mund gezupft.

»Heute hat es einen politischen Hintergrund, damals sollte es nur eine nette Sache sein«, sagt Kathlen von der Soligruppe über die Idee mit der Zuckerwatte. Den Anlass für die Kundgebung am 21. Juni 2012 am Bonnaskenplatz bildete ein NPD-Aufmarsch am 12. Mai 2012 in Cottbus. Antifaschisten versperrten seinerzeit die Aufmarschroute der Nazis. Polizisten räumten die Blockade. Sie haben dabei die Leute »gestoßen, beleidigt und verprügelt«, heißt es. Festgenommene wurde in die Wache am Bonnaskenplatz gebracht. Darum dann am 21. Juni die Kundgebung unter dem Motto »Polizeigewalt wegbassen« - ohne Zuckerwatte und bitteschön ganz ruhig ab 22 Uhr! Dabei habe das Ordnungsamt damals eine Sondergenehmigung für die Zeit bis 23 Uhr erteilt, versichert Kathlen von der Soligruppe. Der blonde Mann brachte sein Zuckerwattegerät erst für die Feier nach der Kundgebung mit, so dass hier kein Verstoß gegen die Auflagen vorliegt.

Vor Gericht drehte es sich jetzt darum, ob die Musik erst drei Minuten nach 22 Uhr leiser gedreht und danach wieder lauter gestellt wurde. Die Polizei beruft sich auf Beschwerden von Anwohnern. Von zwei Zeugen konnte sich einer nicht erinnern und der andere beteuerte, er habe sich überhaupt nicht beschwert. Die Richterin wollte der Polizei gern glauben, hielt es aber für zu aufwendig, jetzt rund um den Bonnaskenplatz klingeln und andere Zeugen suchen zu lassen. Sie stellte das Verfahren kurzerhand ein.

Verteidiger Stephan Schrage hätte sich einen Freispruch gewünscht. Wenn die Ruhestörung nicht belegt werden könne, wäre das die logische Konsequenz, meint er. Bei einem Freispruch müsste der Staat alle Kosten tragen. Weil das Verfahren gegen ihn eingestellt ist, bleibt dem Angeklagten nun jedoch nicht anderes übrig, als das Anwaltshonorar aus eigener Tasche zu bezahlen.

»Es war an den Auflagen schon klar erkennbar, dass es der Polizei darum ging, Kritik nicht zuzulassen«, sagt Anmelder Martin. So sieht das auch sein Anwalt Schrage. Er nennt den Fall »Realsatire«, obwohl die Verhandlungsführung sehr ernst gewesen sei.

Das Zuckerwatteverbot ist bestimmt einmalig. Auch ein Justizbediensteter muss am Donnerstag schmunzeln, als er davon hört. Prozessbeobachter ließ er am Eingang übrigens mit ihrer Zuckerwatte durch. Er soll Zeugen und Zuschauer lediglich auf Waffen kontrollieren - und Zuckerwatte ist schließlich keine Waffe!

Spenden für die Anwaltskosten an die Rote Hilfe e.V., Kto.: 4 007 238 310, BLZ: 43 060 967, GLS Bank, Verwendungszweck: »Soligruppe Repressionen Wegbassen«

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