Mehr als nur Feuerwehr für den Notfall

Schulsozialarbeit wird immer wichtiger, von der Politik aber nach wie vor stiefmütterlich behandelt

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 5 Min.
Schulsozialarbeit ist in deutschen Schulen nach wie vor eher die Ausnahme als die Regel - trotz einiger Anstrengungen der Kommunen und der Länder. Der Bund könnte aktiv werden, hält sich mit seinem Engagement allerdings zurück.

Rein rechnerisch muss sich Jürgen Schmidt um 1300 Schüler kümmern. Glück für ihn, dass das nur ein statistischer Wert ist. Seit 1994 arbeitet Schmidt als Sozialarbeiter an der Oscar-Paret-Schule, einer kombinierten Bildungseinrichtung aus Werkrealschule (eine Art aufgewertete Hauptschule, die neben dem Hauptschulabschluss auch die Mittlere Reife anbietet), Realschule und Gymnasium in Freiberg am Neckar (Baden-Württemberg). Er vermittelt bei Konflikten zwischen Schülern, Lehrern und Eltern und interveniert bei akuten Krisen. »Meine Schule ist ein gutes Beispiel dafür, wie kommunale Bildungs- und Sozialarbeit organisiert werden kann«, sagt Schmidt. Mittlerweile finanziere die Stadt nicht nur Räume und Stellen, sondern lege Wert darauf, dass Schulsozialarbeit Teil des pädagogischen Konzepts der Schule wird. So ist Schmidt auch Teil eines interdisziplinären Teams aus Lehrern und Sozialpädagogen an der Schule.

»Schulsozialarbeiter als fester Bestandteil des Schulteams, sind ein Muss«, sagt Schmidt. Aber, so zeigt ein Blick auf die gesamtdeutsche Realität, nicht die Regel. Mit 1,3 Planstellen für 1700 Schülerinnen und Schüler liegt Schmidts Schule im Bundesschnitt. Anderswo wie z.B. in Thüringen muss sich ein Schulsozialarbeiter um 2400 Schüler kümmern.

Doch das Zahlenverhältnis allein ist kein Qualitätsmerkmal. In vielen Regionen werden sozialpädagogische Fachkräfte nach wie vor lediglich als »Feuerwehr« eingesetzt. Bayern etwa verweist zwar stolz auf sein Projekt »Jugendsozialarbeit an Schulen« (JaS). Um Schulsozialarbeit im eigentlichen Sinne handelt es sich hier aber nicht, wie das bayerische Sozialministerium auf Nachfrage mitteilt. Die Sozialarbeiter seien »gewissermaßen eine Filiale des Jugendamtes in der Schule«, deren Angebot sich nicht an alle Schüler und Eltern richte. Wie viele Schulsozialarbeiter es überhaupt im Freistaat gibt, z.B. in der Ganztagsbetreuung, weiß auch das Kultusministerium in München nicht. Die Beschäftigung von Sozialpädagogen erfolge allein in der Verantwortung der Schulträger, also der Kommunen und Landkreise.

Könnte, ja müsste nicht der Bund hier in die Bresche springen? Im Prinzip ja, sagt der Jugendhilfeexperte der GEW, Bernhard Eibeck. Er warnt allerdings davor, zu sehr auf ein Aufweichen des Kooperationsverbotes zu setzen. Der Bund könnte auch schon jetzt einiges tun. Ein Beispiel ist das Bildungs- und Teilhabepaket (BuT), das seit 2011 im Rahmen der sozialen Grundsicherung 400 Millionen Euro für die Schulsozialarbeit bereitstellt. Rund ein Drittel der Sozialarbeiterstellen an Schulen wird damit mittlerweile finanziert. Doch dieser Geldsegen hat zwei Haken.

Erster Haken: Die Finanzierung ist nur bis Ende dieses Jahres befristet. Bislang haben nur einzelne Länder wie Baden-Württemberg, Thüringen oder Mecklenburg-Vorpommern Vereinbarungen mit den Kommunen geschlossen, um die Stellen auch ab 2014 zu sichern. Zweiter Haken: Die Mittel für die Schulsozialarbeiterstellen aus dem BuT sind nicht unmittelbar an die jeweiligen Planstellen geknüpft, wie der Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit, ein Zusammenschluss der großen freien Träger der Jugendhilfe, bereits 2011 kritisierte. Der Bund beteiligt sich lediglich über einen höheren Anteil an den Kosten für »Unterkunft und Heizung« an den zusätzlichen Sozialarbeiterstellen. Die Kommunen können so selbst entscheiden, ob sie das Geld für Schulsozialarbeit oder für das Mittagessen an den Schulhorten verwenden.

Manche Länder wie z.B. Mecklenburg-Vorpommern haben mit einem Trick dafür gesorgt, dass das Geld zweckgemäß ausgegeben wird: Die Kommunen erhielten vom Land zusätzlich finanzielle Anreize zur Schaffung von Sozialarbeiterstellen an den Schulen, erläutert Claus Wergin, Referatsleiter im Schweriner Sozialministerium. Das ist längst nicht überall Praxis. So wurde 2012 ein Fall aus dem Landkreis Nordsachsen publik. Das Geld, das der Kreis aus dem Bildungspaket erhalten hatte, sei »in die Deckung des Gesamthaushalts eingeflossen«, musste der Sozialdezernent des Kreises gegenüber dem TV-Magazin »Exakt« zugeben.

Was passiert, wenn ab Ende dieses Jahres die Finanzierung der Schulsozialarbeit aus dem Bildungspaket ausläuft? GEW-Experte Bernhard Eibeck fordert ein Förderprogramm des Bundes, vergleichbar dem Krippenausbauprogramm für die Unter-Dreijährigen. Eine andere Möglichkeit, wäre es, so Eibeck, Schulsozialarbeit per Gesetz im Sozialgesetzbuch (SGB VIII) als Regelleistung zu verankern. Ein Vorschlag, der in den Ländern auf ein geteiltes Echo stößt. Mecklenburg-Vorpommern kann sich eine solche gesetzliche Lösung laut Claus Wergin »gut vorstellen«, Schleswig-Holstein verweist auf E&W-Nachfrage nebulös darauf, dass hierzu eine »Verständigung zwischen Bund, Ländern und Kommunen« notwendig sei, Thüringen sieht keinen Änderungsbedarf, und aus Bayern heißt es kategorisch: Eine eigenständige Angebotsform des Bundes passt nicht in die Systematik des SGB VIII und entspricht nicht den Vorgaben des Grundgesetzes.»«

Und was meinen die »Praktiker«? »Ein größeres Engagement des Bundes ist auf jeden Fall wünschenswert«, sagt der Freiberger Schulsozialarbeiter Jürgen Schmidt. »Geld allein reicht aber nicht«. Schulsozialarbeit brauche »eine strukturelle Aufwertung, fordert Schmidt, und meint damit: Interdisziplinäre Teams aus Lehrern und Sozialpädagogen, eine feste Verankerung im pädagogischen Konzept der Schulen und nicht, wie Schmidt sagt, «den Einsatz von Sozialarbeitern nur dann, wenn es in den Klassen wieder einmal zu viele Probleme auf einmal gibt. Wir wollen keine Feuerwehr mehr sein.»«

● In den Schulen sind derzeit bundesweit rund 10 000 Sozialarbeiter im Einsatz. 3500 Stellen werden im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe finanziert, d.h. die Sozialarbeiter sind entweder im Auftrag der kommunalen Jugendämter oder von Freien Trägern in den Schulen; die restlichen Stellen verteilen sich ungefähr zu gleichen Teilen auf die Länder (Landesangestellte) und auf Beschäftigte, die aus Mitteln des Bildungs- und Teilhabepakets finanziert werden.

● Geregelt werden die Angebote und Leistungen der öffentlichen Jugendhilfe (Jugendämter) für anspruchsberechtigte bzw. hilfebedürftige Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene über das Sozialgesetzbuch VIII. jam

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