Oma Natze und ihr Kindergarten

Nach 1:0-Testspielsieg gegen Kanada bestimmt Fußball-Bundestrainerin Silvia Neid das deutschen Aufgebot für die Europameisterschaft im Juli

  • Frank Hellmann, Paderborn
  • Lesedauer: 3 Min.
Der 23-köpfige EM-Kader der deutschen Fußballerinnen steht. Nach einigen Verletzungen sind nur wenige Spielerinnen der Heim-WM 2011 übrig geblieben. Die Bundestrainerin hat einen geräuschlosen Generationswechsel vollzogen.

Mit einer langen Klatschparade wurden Deutschlands beste Fußballerinnen ins verlängerte Wochenende geschickt. In Paderborn gab's ein Winken hier und noch ein Küsschen da - die Verabschiedung aus dem ostwestfälischen Backofen geriet herzlich. Wenn Silvia Neid am kommenden Montag ihre Auswahl in München zum letzten Lehrgang vor der EM in Schweden wieder zusammenruft, werden zwei Spielerinnen indes nicht kommen dürfen: Kathrin Längert, Torhüterin vom FC Bayern, und die Leverkusenerin Stürmerin Isabell Kerschowski wurden als Letzte aus dem nun 23-köpfigen Kader gestrichen.

Wirkliche Härtefälle waren sie nicht - vor der WM 2011 hatte die Bundestrainerin noch Bundesliga-Torschützenkönigin Conny Pohlers aussortiert. Mittlerweile ist ein fast geräuschloser Generationswechsel vollzogen: Es wimmelt von Novizen; gerade mal 23,5 Jahre beträgt das Durchschnittsalter eines Aufgebots, in dem allein sieben Talente der letzten U20-WM vereint sind. Silvia Neid vertraut ihnen, und nicht nur die Siegtorschützin Leonie Maier (»Es war heiß - und wir waren auch heiß«) bewies beim 1:0 gegen Kanada Hitzebeständigkeit und Kaltschnäuzigkeit zugleich. »Einstellung, Leidenschaft und Kreativität« belobigte die Chefin. Nur eines solle niemand vergessen, mahnt die 49-jährige Neid: »Junge Spielerinnen unterliegen noch Leistungsschwankungen.« Der achte EM-Titel solle bloß keine Selbstverständlichkeit sein.

Für die Generalprobe gegen Weltmeister Japan am übernächsten Samstag in der Heimstätte der Männerabteilung des FC Bayern sind schon mehr als 40 000 Karten verkauft. Es ist erklärter Wunsch des Verbandes, auch dem weiblichen Segment die großen Arenen zu öffnen. Der Werbewirkung kann es auch nur dienlich sein, dass Nadine Angerer und Celia Okoyino da Mbabi am Samstagabend im ZDF-Sportstudio vorstellig werden.

Die unangepasste Torhüterin will noch immer nicht verraten, bei welchem Verein sie demnächst Station machen wird. Und auch bei der gereiften Torjägerin ist das noch unklar. Da Mbabis Klubtrainer Colin Bell würde sie gern vom insolventen SC Bad Neuenahr zum 1. FFC Frankfurt mitnehmen. Angerer, da Mbabi und Saskia Bartusiak bilden die neue Achse der Nationalmannschaft. Sie werden beim EM-Auftakt am 11. Juli gegen die Niederlande in der Startelf vermutlich auch die letzten Überbleibsel der WM 2011 sein.

Am Essenstisch hat Nadine Angerer mittlerweile das Gefühl, im »Kindergarten« zu sein, scherzt die 34-Jährige, die sich bereits »Oma Natze« nennt. Mit der Kapitänin stehen nur noch neun Kolleginnen im Kader, die das missratene Heim-Event erlebten.

Dass der Umbruch nicht allein dem Verletzungspech folgte, wird daran deutlich, dass gegen Schottland und Kanada eine vor zwei Jahren noch als unverzichtbar geltende Melanie Behringer keine Minute mitwirken durfte. Offizielle Begründung der Bundestrainerin: Sie wisse doch längst, was die 88-fache Nationalspielerin aus Frankfurt könne. In Wahrheit ist die 27-jährige Behringer jedoch von der unverbrauchten Konkurrenz längst überholt worden. Ohne die Verletzungen der Kolleginnen wäre sie vermutlich ein weiteres Streichopfer gewesen.

Tor
Angerer (Frankfurt), Schult (Bad Neuenahr), Benkarth (Freiburg)

Abwehr
Bartusiak, Schmidt (Frankfurt), Cramer (Potsdam), Henning, Wensing (Wolfsburg), Krahn (Paris), Maier (Bad Neuenahr)

Mittelfeld
Bajramaj, Behringer Huth, Laudehr (Frankfurt), Däbritz, Leupolz (Freiburg), Goeßling, Keßler (Wolfsburg), Linden (Leverkusen)

Angriff
Lotzen (FC Bayern), Marozsan (Frankfurt), Okoyino da Mbabi (Bad Neuenahr), Mittag (Malmö)

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