Fernsehen der Zuschauer?

MEDIENpolitik: Öffentlich-rechtliches Fernsehen in Russland

  • Axel Eichholz
  • Lesedauer: 2 Min.

Russland hat ein neues öffentliches Fernsehen. Offiziell nahm der Sender OTR seine Sendungen Mitte Mai auf. Das Programm ist kostenlos landesweit zugänglich und wird zu den »Pflichtprogrammen« gezählt, die von allen Kabelnetzen, drahtlos und per Internet verbreitet werden müssen. Das neue Programm soll frei von Werbung, inhaltloser Unterhaltung und Gewaltszenen bleiben und sich Bildung, Erziehung und traditionellen Werten widmen. Schwarzmalerei und Konfrontation sollen vermieden und positive Einstellung soll herausgestellt werden. In den Nachrichtensendungen soll das Schwergewicht in Richtung regionaler Probleme, die im Staatsfernsehen bisher zu kurz kamen, verschoben werden.

Im Dezember 2011 hatte der damalige Staatspräsident Dmitri Medwedew die Gründung eines öffentlichen Fernsehens angeregt. Zum Abschluss seiner Präsidentschaft unterzeichnete er im April 2012 ein entsprechendes Dekret. Ursprünglich sollte der Sender zum Teil öffentliche aktuelle Diskussionen übernehmen, die damals auf der Straße ausgetragen wurden. Nun heißt es aber, der Sender solle weitgehend entpolitisiert werden und schon gar nicht als Plattform der Opposition dienen.

Schon in den 1990er Jahren trug sich der jetzige Vorsitzende des Menschenrechtsrates beim russischen Präsidenten, Michail Fedotow, mit der Idee eines vom Staat unabhängigen öffentlichen Fernsehsenders. Als Vorbilder sah er entsprechende Einrichtungen im Westen, vor allem die britische BBC und das deutsche Öffentlich-Rechtliche Fernsehen. Damals wurde von einer Finanzierung durch Zuschauer selbst ausgegangen. Der Armeekanal »Swesda« sollte schließen und seine technische Einrichtung und Frequenz an das öffentliche Fernsehen abtreten. Die Armee sträubte sich jedoch dagegen, und das neue Fernsehen bekam eine eigene Sendefrequenz und eigene Studios. Sein Generaldirektor Anatoli Lyssenko sagte, er habe er für den Start 1,5 Milliarden Rubel (37,5 Millionen Euro) aus dem Staatshaushalt bekommen. Die Tatsache, dass der Sender vom Staat finanziert und dessen Leiter und Chefredakteur vom Präsidenten eingesetzt werden, bedeute aber nicht, dass er vom Kreml abhängig sei, versicherte Lyssenko.

Beobachter schließen nicht aus, dass das sogar stimmen könnte. Das Beispiel des kritischen Hörfunksenders Echo Moskaus, der dem Staatskonzern Gasprom gehört, scheint es zu bestätigen. Der Sender dient seit Jahren als »das Ventil, durch das überschüssiger Dampf entweichen kann«. Die Proteste der letzten Jahre zeigten, dass der Radiokanal nicht ausreiche und eine größere »Lüftungsklappe« benötigt werde, heißt es.

Der bekannte Moderator Wladimir Posner, der früher ein glühender Anhänger des eigenständigen »Fernsehens der Zuschauer« gewesen war, äußerte sich deshalb über Medwedews Vorhaben kritisch. Es werde kein Öffentliches Fernsehen daraus, sondern noch ein Staatssender, und die gebe es ohnehin genug. Man sollte bei den bereits vorhandenen Fernsehanstalten die Zensur abstellen, die es dort trotz offiziellen Verbots gebe.

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