Clusterhof

In Adlershof verschmelzen Universität und Firmen, was als Wissenschaftsmodell für die Zukunft gilt

  • Ralf Hutter
  • Lesedauer: 3 Min.

Jan-Hendrik Olbertz sieht in Berlin-Adlershof einen »neuen Prototyp der Kooperation von universitärer und außeruniversitärer Forschung«. Sein Ziel: »Die Grenzen allmählich niederreißen.« Den Präsidenten der Humboldt-Universität (HU) beeindruckt nicht nur, dass im Wissenschafts- und Technologiezentrum Adlershof über die genannten institutionellen Grenzen hinweg Forschungsinstrumente gemeinsam gekauft werden. - »Und das bei der deutschen Bürokratie!« Olbertz kann auf ein neues Modell der Organisation, Finanzierung und Einbindung von Wissenschaft hoffen: das Cluster.

Am Dienstagnachmittag feierte die HU den zehnten Jahrestag des abgeschlossenen Umzugs zweier Fakultäten. Sie zogen aus Berlins Zentrum »in die Pampa«, wie damals manche Beteiligte sagten. Adlershof im Südosten der Stadt hat eine lange Geschichte der Technikforschung. Auch die Akademie der Wissenschaften der DDR hatte dort einen großen Standort. 1991 beschloss der Senat den Aufbau eines Wissenschafts- und Technologieparks an selber Stelle - doch über zwei Drittel der Angestellten mussten gehen.

Wohnen am Campus

Zum Cluster Adlershof gehört mittlerweile auch ein Wohngebiet (in Entwicklung). Das folge nicht nur einem allgemeinen Trend in der Stadtentwicklung, multifunktionelle Lebensräume zu schaffen, sagt Elmar Kulke, Wirtschaftsgeograf und Dekan einer der beiden Adlershofer HU-Fakultäten. Kulke berichtet auch von einer Befragung vor rund anderthalb Jahren. 1000 Menschen von Universität und Firmen seien befragt worden, wie sie die Umgebung des Wissenschafts- und Technologiestandortes nutzten und was sie gerne noch hätten. »Bei freier Nennung sagten fast zehn Prozent, dass sie gerne hier wohnen würden«, hält Kulke fest. Nun gibt es das Wohngebiet »Wohnen am Campus« direkt neben den Uni-Gebäuden.

Hier entwickelt ein Dutzend verschiedener Träger Wohnraum auf der ehemals landeseigenen Fläche. Auf 14 Hektar entstehen über 1200 Wohneinheiten, vom Einzelzimmer bis zum Reihenhaus. Beteiligt sind Baugruppen, Genossenschaften, städtische Wohnungsbaugesellschaften und Unternehmen, die überwiegend Eigentumswohnungen verkaufen wollen. Für durchschnittliche Studierende errichtet die Genossenschaft »Studentendorf Schlachtensee« ein Gebäude mit 380 Einzelzimmern. rhu

Heute steht dort der Selbstdarstellung zufolge »Deutschlands modernster Technologiepark«. »Am wichtigsten Wissenschafts-, Wirtschafts- und Medienstandort Berlin-Brandenburgs« sammeln sich »zehn außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, sechs Institute der Humboldt-Universität, und rund 1000 Firmen«. Insgesamt kommen rund 16 000 Angestellte und 8000 Studierende in die Institute und Unternehmen. Gleich neben dem Campus gibt es einen (viel größeren) »Wissenschafts- und Technologiepark«. In unmittelbarer Nachbarschaft arbeiten also universitäre und nicht-universitäre Forschungsinstitute mit Firmen zusammen. Grundlagen- und angewandte Forschung findet gleich neben Produktentwicklung statt. Die Unternehmen vor Ort »sind in beträchtlicher Zahl aus der Universität selbst hervorgegangen«, sagte HU-Präsident Olbertz am Dienstag. Adlershof dient also nicht nur Forschungskooperationen mit der Privatwirtschaft, sondern auch dem Übergang vom Studium ins Berufsleben. Wer hier einen Abschluss macht, findet eventuell ein paar Häuser weiter einen Arbeitsplatz oder gründet dort selbst eine Firma.

Das ganze Konzept orientiert sich am Begriff »Cluster«, englisch für »Gruppe«. Der entstammt, auf Politik bezogen, der Wirtschaftsgeografie, sagt Elmar Kulke. Der Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät II ist selbst Wirtschaftsgeograf und beforscht auch Adlershof. Eine Cluster-Politik findet sich an vielen Stellen in Deutschland. Es geht dabei um die regionale Bündelung von Ressourcen. Mit inneruniversitärem Bezug ist der Begriff schon länger bekannt. Dort meint er große Forschungszusammenhänge über Fächergrenzen hinweg. Adlershof zeigt nun, wie die Cluster-Bildung über institutionelle Grenzen hinweg aussehen kann.

Am Dienstag war auch Jürgen Zöllner nach Adlershof gekommen, um das Projekt zu preisen. Der ehemalige SPD-Wissenschaftssenator verlangte, mehr solche Cluster zu schaffen. Bundesweit seien 15 bis 25 möglich. Wenn das geschehe, würden die betreffenden Universitäten auch in den immer wieder im In- und Ausland veröffentlichten Ranglisten deutlich besser abschneiden.

Stefan Hecht, Dekan der anderen HU-Fakultät in Adlershof, verabschiedete sich in seiner Jubiläumsrede am Dienstag mit den Worten: »Wir sind nah dran an der Eier legenden Wollmilchsau.«

Die Spitzenforschung bringt allerdings Nachteile für die Lehre mit sich, wie Jakob Hoffmann schildert. Der Physik-Student und Referent für Fachschaftskoordination bei der HU-Studierendenvertretung hat festgestellt, dass die Betreuung leidet: »Es gibt reguläre Profs, die kaum noch anzutreffen sind, weil sie wegen Forschungskooperationen und Drittmittelprojekten immer wieder im In- und Ausland unterwegs sind.« Zudem falle es ihnen oft schwer, sich in den Lehrveranstaltungen dem »Niveau der Leute, die gerade aus der Schule kommen«, anzupassen.

Schwer anzutreffen, sagt der 23-Jährige, seien gerade die an »IRIS« beteiligten Profs. »IRIS« steht für das »Integrative Research Institute for the Sciences«, den ganzen Stolz der Leitungen von Adlershof und HU. Unlängst hat der Wissenschaftsrat von Bund und Ländern empfohlen, für einen »IRIS«-Forschungsbau 37 Millionen Euro locker zu machen. In dem neuen Gebäude mit 4700 Quadratmetern sollen 140 wissenschaftliche Stellen geschaffen werden. »Unsere Fachschaft hat einen Lagerraum wegen ›IRIS‹ verloren«, berichtet Physik-Student Hoffmann. »Uns wurde zu verstehen gegeben: Die bringen eben Geld.«

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