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Fast 300 000 ohne Wohnung

Verband sieht drastisch wachsendes Problem

  • Grit Gernhardt
  • Lesedauer: 2 Min.
In Deutschland leben immer mehr Wohnungslose. Das zeigen Zahlen, die am Donnerstag in Berlin vorgestellt wurden.

Besonders in den Großstädten sind sie kaum zu übersehen: Obdachlose. 24 000 Menschen lebten laut der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) 2012 auf der Straße. Seit 2010 stieg ihre Zahl um rund zehn Prozent. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs - insgesamt haben 284 000 Menschen in Deutschland keinen »mietvertraglich abgesicherten Wohnraum«. Die meisten kommen zunächst bei Verwandten oder Bekannten unter. Vor zwei Jahren waren es rund 15 Prozent weniger. Neben Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Sucht führen oft Trennungen in die Mietschuldenfalle und am Ende zum Verlust des Zuhauses. Das höchste Risiko haben alleinstehende Männer, auch alleinerziehende Frauen sind gefährdet; zehn Prozent der Wohnungslosen sind minderjährig.

Und die BAG W fürchtet eine weitere Zunahme: Bis 2016 könnte es laut Geschäftsführer Thomas Specht 380 000 Wohnungslose geben - ein Anstieg um 33 Prozent gegenüber heute. Externe Faktoren begünstigten die Misere: So erhöhten sich die Mieten in den vergangenen fünf Jahren durchschnittlich um 5,1 Prozent, der Bestand an Sozialwohnungen schrumpfte und die Armutsquote stieg. Politische Fehlentscheidungen sieht Specht im Bereich Hartz IV - Sanktionen, die die Unterkunftskosten betreffen, hält er für verfassungswidrig. 25 000 Wohnungen wurden 2012 zwangsgeräumt, zusätzlich gab es 40 000 »kalte« Wohnungsverluste, bei denen die Mieter vor der Räumung auszogen.

Specht kritisierte zudem, dass Kommunen und Bund Fachstellen nicht ausbauen, die etwa Mietschulden übernehmen könnten. Das würde bis zu 80 Prozent der Wohnungsverluste verhindern. Dringend geboten sei auch eine Wohnungsnotfallstatistik. Dafür fehle aber der »politische Wille«. In diese Kerbe schlägt auch Heidrun Bluhm, wohnungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag: Der Bund müsse als erstes eine belastbare Statistik über das Ausmaß der Wohnungs- und Obdachlosigkeit in Deutschland anstoßen und finanzieren, sagte sie dem »nd«.

Dass Schwarz-Gelb mit dem neuen Mietrechtsänderungsgesetz vermieterseitige Kündigungen erleichtert habe, sei zudem das völlig falsche Signal. Hier werde eine Schlechterstellung von Millionen Mietern in Kauf genommen, so Bluhm.

Eine aktuelle Forsa-Umfrage zeigt, dass das Thema besonders in Berlin aktuell ist: 30 Prozent der Befragten bezeichneten die Wohnungsnot in der Hauptstadt als »größtes Ärgernis« - noch vor dem Flughafen BER. Laut Senatszahlen gab es am 31. Dezember 2012 in Berlin 11 000 Wohnungslose; die BAG W geht von mindestens 17 000 im Jahr 2012 aus.

Und auch einige, die eine Wohnung haben, leben unter teils schlechten Bedingungen: Das Statistische Bundesamt meldete am Donnerstag, dass sieben Prozent der Deutschen in beengten Verhältnissen wohnen. Seite 11

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