Vater oder Mutter soll abgeschoben werden

Kosovarische Familie steht vor der Trennung, weil nur ein Elternteil 15-jährigen Sohn betreuen darf

  • Marina Mai
  • Lesedauer: 3 Min.

Will er Mutter oder Vater retten? So sieht die Entscheidung aus, vor die der 15-jährige Elmen Nuhi gestellt wird. Der Junge aus Kosovo darf noch ein Jahr lang in Berlin leben, um den Schulabschluss zu machen. Elmen ist ein guter Schüler. Er träumt davon, Informatik zu studieren. Seine Familie muss Deutschland verlassen. Doch weil Elmen noch nicht volljährig ist, darf ein Elternteil mit ihm hierbleiben. Bis Donnerstag sollte der schüchterne Schüler einer zehnten Klasse entscheiden, ob das der Vater oder die Mutter ist. So sagte es die Ausländerbehörde. Der andere von beiden muss mit Elmens jüngerem Bruder ausreisen. Anwältin Ellen Apitz will die Entscheidung nicht hinnehmen.

Die Nuhis stammen aus Kosovo. Sie gehören der Minderheit der Goranen an. Diese kleine Volksgruppe zählt nur 18 000 Angehörige. 6000 von ihnen haben nach Angaben des UNHCR während und nach dem Kosovokrieg ihr Land verlassen. Elmens Vater Sadat Nuhi sagt: »Ich war serbischer Verkehrspolizist und musste darum nach dem Ende des Kosovokrieges meine Heimat verlassen. Die Albaner beschlagnahmten unser Haus und unser Auto und schworen unserer Familie Blutrache, weil ich Polizist war.« In Kosovo kommt das einem Todesurteil gleich.

Die Familie floh nach Serbien. Dort war sie zuerst willkommen. »Aber dann wurden wir so stark schikaniert, dass wir es irgendwann nicht mehr aushielten«, erzählt er weiter. Der Grund: Die Goranen tragen albanische Familiennamen und werden darum von Serben als Albaner wahrgenommen. »Mit dem Namen Nuhi durfte ich nicht mehr als Polizist arbeiten. Mein Sohn wurde in der Schule schikaniert«, erzählt der Vater.

Der Asylantrag in Deutschland wurde aus formalen Gründen abgelehnt. In Berlin hat die Familie sich geradezu mustergültig integriert. Die Mutter hat ein Praktikum als Altenpflegerin absolviert und hat ein Arbeitsangebot. Sollten die Behörden ihr erlauben, in Deutschland zu bleiben und zu arbeiten, dürfte sie sofort beginnen. Altenpflegerin ist ein Mangelberuf.

Beide Söhne sind gute Schüler. Der jüngere Bruder ist Klassensprecher in einer Spandauer Grundschule. Doch die ganze Integration nützt nichts: Innensenator Frank Henkel (CDU) und anschließend auch der Petitionsausschuss des Abgeordnetenhauses haben einen Antrag auf ein humanitäres Bleiberecht abgelehnt. Die Familie wurde inzwischen aus humanitären Gründen von einer Kirchengemeinde in Tempelhof-Schöneberg aufgenommen. Über ein formales Kirchenasyl hat der Gemeindekirchenrat noch nicht entschieden.

Vater Sadat Nuhi ist nach der Erfahrung der Ausgrenzung im früheren Jugoslawien stark suizidgefährdet und wurde in Berlin mehrmals in einer psychiatrischen Klinik behandelt. Das interessierte Ausländerbehörde und Gerichte indes nicht. Sie befanden es als ausreichend, ihn während der Abschiebung mit Medikamenten ruhig zu stellen.

Ellen Apitz, die Anwältin der Nuhis, ist empört. »Ich schätze die humanitäre Entscheidung, dem Jungen die Möglichkeit einzuräumen, hier einen Realschulabschluss zu machen. Aber es ist zutiefst inhuman, den suizidgefährdeten Vater von seiner Ehefrau zu trennen, die ihm die wichtigste Stütze ist.« Apitz verweist darauf, dass die Familie nur minimal von öffentlichen Mitteln leben müsste, wenn die Frau arbeiten dürfte. »Mit einem Bleiberecht würde der Vater psychisch stabilisiert und wäre dann auch arbeitsfähig. Ich appelliere an die Ausländerbehörde, hier Augenmaß walten zu lassen.«

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