Zwischen Armengetto und Luxusurlaub

Ferienlager bringen französische Kinder aus verschiedenen Milieus zusammen - doch die Nachfrage sinkt

  • Andrea Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.
Französische Ferienlager erleben einen kontinuierlichen Besucherrückgang. Die jährliche Anzahl der Kinder, die daran teilnehmen können, hat sich seit 1995 halbiert - ein Beispiel für die sich verstärkenden Ungleichheiten auch beim Recht auf Freizeit.

In der französischen Gesellschaft haben Kinder kaum Gelegenheit, einen Blick über die Grenzen ihres sozialen Milieus hinweg zu werfen, das auch ihre schulische Umgebung direkt beeinflusst. Eine entsprechend wichtige Rolle könnten dabei Ferienlager spielen. Die bieten Kindern aus ganz verschiedenen Gesellschaftsschichten die Gelegenheit, einander kennenzulernen und vielleicht auch voneinander zu lernen. Darüber hinaus sind solche Ferienlager für viele Kinder aus armen Familien die einzige Möglichkeit, auch einmal wegfahren zu können.

Doch die Nachfrage nach solchen Angeboten sinkt kontinuierlich. 1995 verbrachten noch 14 Prozent der Kinder und Jugendlichen einen Teil ihres Sommers im Ferienlager, 20 Jahre später sind es nur noch halb so viele. Zu diesem Schluss kam eine Parlamentskommission, die die Auslastung der französischen Ferienlager untersucht hat. Der Nachfragerückgang hat zur Folge, dass drei Millionen der zwischen Fünf- und Neunzehnjährigen, also 25 Prozent dieser Altersklasse, ihre Ferien ausschließlich zu Hause verbringen. Hinzu kommt die Dunkelziffer all jener, die nur ausnahmsweise einmal wegfahren.

Die Ferienlager werden in Frankreich vor allem von sozial benachteiligten Kindern besucht. Sie sind aber auch bei Familien aus wohlhabenden Einkommensgruppen sehr beliebt. Es sind vor allem die Kinder aus dem Mittelstand, die sich einen Ferienlageraufenthalt nicht mehr leisten können. Kosten für Unterbringung, Essen und Transport sind in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen, Letztere seitdem die Staatsbahn SNCF die Gruppentarife abgeschafft hat.

Ein Aufenthalt in einem klassischen Ferienlager kostet zwischen 400 und 600 Euro pro Kind und Woche. Für Familien mit geringem Einkommen ist es, dank der Subventionen der Familienbeihilfekasse CAF, die einen großen Teil der Kosten übernimmt, deutlich weniger. So konnten 2011 rund acht Prozent der Kinder und Jugendlichen aus Elternhäusern mit einem Monatseinkommen von weniger als 1000 Euro ins Ferienlager fahren. Aus Familien mit mittleren Einkommen - zwischen 2000 und 3000 Euro monatlich - konnten dies nur sechs Prozent. Der Grund: Die Sozialhilfen für die Ferienaufenthalte wurden für diese Einkommensklassen erheblich zusammengestrichen. 1994 subventionierte die CAF Ferienzentren noch mit jährlich 75 Millionen Euro, 2004 waren es schon nur noch 40 Millionen Euro.

Das zunehmende Fehlen der Mittelklasse »verschärft die kulturellen Unterschiede zwischen den Kindern, und gefährdet die gesellschaftliche Ausgewogenheit«, bedauert Agnès Bathiany, Leiterin des Vereinsnetzwerks PEP. Zudem droht eine zunehmende »Gettoisierung« der klassischen Ferienlager, seitdem Eltern mit gutem Einkommen auf den Geschmack der thematisch spezialisierten Ferienaufenthalte gekommen sind, die mit ursprünglicher Lagerfeueratmosphäre kaum noch etwas zu tun haben.

Sommerferien für die Kinder Besserverdienender werden so zum rentablen Business für private Anbieter: eine Woche im Zeichen der Wissenschaften, mit wilden Tieren, auf dem Pferdehof, auf den Spuren der Ritter, im Zirkus oder als Innenarchitekt ... Das klingt zweifelslos verlockend, ist aber bei Weitem nicht jedem Geldbeutel möglich. Man kann wohl kaum noch von sozialer Vielfalt sprechen, wenn solche Angebote mehr als 1000 Euro pro Kind und Woche kosten.

Um die Ausgewogenheit mit Kindern verschiedener Schichten der Gesellschaft zu erhalten, schlägt die parlamentarische Kommission mehrere Lösungen vor: von der Wiederherstellung der Subventionen der CAF über eine kommerzielle Geste der SNCF, bis hin zu einer Besteuerung der Luxushotellerie in Höhe von zwei bis sechs Prozent. Allein letztere könnte zwischen 100 und 200 Millionen Euro einbringen. 600 Millionen Euro wären notwendig, um auch jenen drei Millionen Kindern richtige Ferien zu bieten, die derzeit darauf verzichten müssen.

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