Rechte Bürgerwehr in Hellersdorf?

Interview mit dem apabiz zu den Hintergründen und Gefahren des NPD-Aufrufs

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 4 Min.

nd: Die NPD und deren Landesvorsitzender Sebastian Schmidtke wollen in Hellersdorf eine Bürgerwehr mit »Freiwilligen« aufstellen. Wie gefährlich ist das?
Jentsch: Vor Ort ist die Lage bereits jetzt angespannt. Es gibt Bedrohungen, Pöbeleien, aber auch mal Schubsereien. Die NPD versucht, das weiter zu eskalieren. Auf der anderen Seite geht es darum, im Wahlkampf eine werbewirksame Geschichte zu lancieren.

Ist es nicht auch der Versuch, ähnlich wie in Rudow, Ober- und Niederschöneweide eine Angstzone für Flüchtlinge und Nazi-Gegner zu etablieren?
Es sieht danach aus. So werden beispielsweise die Unterstützer von Geflüchteten in Hellersdorf beschimpft. Immer wieder kommen Leute, die sich drohend gebärden. Ob das Personen sind, die aus der NPD kommen oder deren Umfeld angehören, ist unterschiedlich. Einmal stänkerten auch Rocker herum. Es gibt keinen Tag ohne Bedrohung und Pöbeleien. Das ist ein klarer Hinweis, dass versucht wird, ein Klima der Angst zu schaffen.

Gibt es Beispiele aus der Vergangenheit, wo die NPD zur Bildung von Bürgerwehren aufgerufen hat?
Es gab zu Beginn der 90er Jahre etliche Beispiele dafür. Die NPD versuchte häufiger, sich als vermeintliche Fürsprecherin für Bürgerinteressen zu etablieren. Wir kennen aber kein einziges Beispiel, wo es tatsächlich zu einer Bildung einer Bürgerwehr gekommen ist. In Berlin gab es so etwas in der Neuköllner High-Deck-Siedlung, wo die NPD vor einigen Jahren »Kiez-Streifen gegen Kinderschänder« aufstellen wollte. Dort wollten die Rechten wahllos Männer kontrollieren und deren Identität feststellen. Der damalige Innensenator Ehrhart Körting (SPD) hat das wegen Amtsanmaßung untersagt. Das wäre jetzt auch dringend angeraten.

Die Staatsschutz prüft den Aufruf, strafrechtlich bewerten müsse ihn jedoch die Staatsanwaltschaft, sagt die Polizei. Die Beamten wollen Sebastian Schmidtke überdies bitten, den Aufruf freiwillig zu entfernen. Nun ist Schmidtke kein Unbekannter. Er betreibt einen Ausrüstungsladen. Er ist eine entscheidende Figur des Rechtsextremismus, nicht nur bei der NPD, sondern auch in Bezug zum »Nationalen Widerstand Berlin«. Ist sein Aufruf nicht doch mehr als nur Provokation?
Die NPD will sich als Opfer darstellen, das sich gegen angebliche Angriffe wehrt. Das ist der Tenor des Aufrufs »Hellersdorf wehrt sich«. Aber das ist mitnichten richtig: Wer die Berliner NPD, ihr Umfeld, ihre Wählerinnen und Wähler, Herrn Schmidtke selber kennt, der sieht, dass es um Leute geht, die bereit sind, für die Durchsetzung ihrer politischen Ziele Gewalt anzuwenden. Die Ermittlungsverfahren, die der NPD-Chef gesammelt hat, belegen das eindrücklich. Es ist das Umfeld der NPD, das mit dafür verantwortlich ist, dass die Situation in Hellersdorf so angespannt ist.

Wie stark nimmt die NPD Einfluss auf die Bürgerinitiative Marzahn-Hellersdorf?
Offenbar gibt es innerhalb der Bürgerinitiative unterschiedliche Strömungen. Deshalb hat sie sich jetzt auch als Verein neugegründet, der sich von der alten Bürgerinitiative und der NPD distanziert. Unbestritten ist, dass die bisherige Bürgerinitiative unter einem sehr deutlichen Einfluss von Leuten stand, die entweder über direkte Kontakte in die NPD verfügt oder als alte Neonazi-Aktivisten gelten. Dass nun ein Verantwortlicher des neuen Vereins ebenfalls einschlägig bekannt ist, spricht unterdessen nicht dafür, dass sich etwas geändert hat. Viele Neonazis der letzten zehn, 20 Jahre wohnen eben in Hellersdorf.

Wie muss die Zivilgesellschaft in der Hauptstadt mit den rechten Provokationen in Hellersdorf umgehen?
Wir brauchen langfristige Konzepte. Das Dilemma ist: Der Konflikt, der sich an dem Heim entzündet, wird nicht nach Hellersdorf reingeschleppt, sondern ist latent da gewesen. Es kann also weder eine Lösung sein, das Heim zu schließen, auch wenn man wenig von Flüchtlingsheimen hält, noch kann die Zivilgesellschaft einfach alles ignorieren. Wir müssen die Auseinandersetzung führen, um dauerhaft die Stimmung vor Ort zu verändern. Den Rassist_innen muss klarwerden, sie kriegen die Flüchtlinge nicht weg.

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