»Ich habe keine Probleme mit Rot-Grün-Rot«

Hans-Christian Ströbele spricht über seine Rolle als linker Außenseiter in der eigenen Fraktion

  • Lesedauer: 8 Min.

nd: Herr Ströbele, wie geht es Ihnen gesundheitlich?
Ströbele: Ich habe keine Beschwerden. Mir geht es so gut, dass ich jeden Tag viele Stunden unterwegs bin. Letztes Jahr war bei mir Prostatakrebs diagnostiziert worden. Doch das ist überwunden.

Wenn Sie erneut in den Bundestag einziehen sollten, bleiben Sie dann die gesamte Legislatur dort?
Ja, sicher. Aber nach der Legislaturperiode werde ich wohl eher nicht erneut kandidieren. Wie es dann weiter geht, wird auch von meiner Gesundheit abhängen. Ich merke schon, dass ich älter geworden bin.

Ein Wahlkampfthema ist die NSA-Affäre. Sie hatten eine Sondersitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums beantragt. Was erhoffen Sie sich davon?
Es wird immer klarer, dass die Behauptung von Herrn Pofalla und der Regierung falsch war. Die Affäre ist nicht zu Ende und nicht geklärt. Es kommen jede Woche neue Erkenntnisse, die nicht aufgeklärt sind. Entscheidend ist: Wie viele deutsche Kommunikationsverbindungen - Telefon, Handy, E-Mail, Internet - sind ausgespäht worden? Wie lange bleiben die Daten gespeichert? Was geschieht damit? In welchem Umfang profitiert der BND von der Auswertung? Zu diesen Fragen haben wir keine Auskünfte. Zunächst müsse der Partner, die NSA, gefragt werden, heißt es immer wieder. Und die hat noch nicht geliefert. Das werden sie wohl auch nicht tun. Wir müssen versuchen, möglichst viel aus anderen Quellen herauszubekommen. Etwa von Snowden. Keiner seiner Berichte wurde bisher bestritten.

Leider unterliegen die Beratungen im Gremium strengster Geheimhaltung. Da fragt sich mancher, welchen Sinn diese haben.
Das ist auch ein Mangel an der parlamentarischen Kontrolle. Ich darf nicht einmal meine Fraktionskollegen unterrichten. Wir brauchen eine Gesetzesänderung, dass nur das geheim bleibt, was wirklich geheimhaltungswürdig ist, wenn Quellen gefährdet oder Menschen geschädigt werden.

Warum profitieren die Grünen nicht vom NSA-Skandal?
Es gibt ein Interesse hierfür in der Bevölkerung. Aber wahlentscheidend ist das Thema nicht. Entscheidend sind Fragen der Ökonomie. Die Wähler wollen wissen, wann es ihnen besser geht.

Es sieht danach aus, als sollte es nach der Wahl nicht für Rot-Grün reichen. Was sagen Sie zu Rot-Grün-Rot?
Ich habe damit keine Probleme. Ich habe auch viel für Tolerierungen übrig, auch in Nordrhein-Westfalen war ich gegen viele Bedenkenträger und dafür, das zu machen. Das Ergebnis war aus meiner Sicht ein Erfolg. In der Koalition ist es bequemer, weil alle Seiten verpflichtet und eingebunden sind. Eine Tolerierung ist demokratischer. Man muss sich für Gesetze Mehrheiten im Parlament suchen. Natürlich gibt es große inhaltliche Unterschiede zu der LINKEN, aber die gab und gibt es zum Teil auch noch zwischen SPD und Grünen. Man müsste schauen, ob man sich da zusammenraufen kann.

Ist Ihr Ja zu einer Tolerierung eine Einzelmeinung in der Partei?
Das wird nicht vor der Wahl diskutiert. Ich weiß nur, dass es Diskussionsrunden zwischen linken Grünen, LINKEN und linken SPD-Politikern gegeben hat. Da wurden viele Gemeinsamkeiten etwa in der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik festgestellt. Die SPD aber hat zusätzliche Probleme, weil sie sich festgelegt hat.

Besonders in der Außenpolitik gibt es Differenzen. Wie einst die Grünen ist die LINKE gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr.
Natürlich würde es nicht so laufen, dass die LINKE alle ihre Forderungen durchbekommen würde. Ihre immer gleichlautende Forderung nach einem sofortigen Abzug aus Afghanistan ist so nicht richtig. Das geht so nicht. Es gibt in der LINKEN manche, die mir recht geben. Entscheidend wichtig ist jetzt doch, dass der Krieg sofort beendet und ein Waffenstillstand vereinbart wird. Das Töten muss aufhören. Es muss schnell zu Verhandlungen kommen.

Was spricht gegen Schwarz-Grün?
Das geht nicht wegen inhaltlicher Differenzen. Die Union und vor allem die CSU sind anderen Interessen verpflichtet als wir, etwa den Vermietern und den Banken. Wir arbeiten mit Umweltgruppen und Unternehmen für erneuerbare Energien zusammen.

Die CDU ist unter Angela Merkel offener für ökologische Fragen geworden. So groß scheinen die Unterschiede doch gar nicht mehr zu sein?
In der Frage der Energiegewinnung hat sich die Gesellschaft in den letzten Jahren verändert. Grüne Ideen scheinen in allen Parteien mehrheitsfähig. Nach Fukushima ist die Kernenergie der Bevölkerung und dem folgend auch den Regierungsparteien zu gefährlich geworden.

Dem Atomkompromiss von Schwarz-Gelb haben die Grünen dann zugestimmt.
Dieser war ähnlich wie das, was Rot-Grün beschlossen hatte. Die damalige Koalition hatte zur Kenntnis nehmen müssen, dass nichts anderes durchsetzbar und finanzierbar war. Der Beschluss von Schwarz-Gelb war das Gegenteil von dem, was sie vorher beschlossen hatten, nämlich die Verlängerung der AKW-Laufzeiten.

Aber Sie hatten den schwarz-gelben Atomausstieg damals kritisiert und gesagt, dieser sei nicht gut genug nach Fukushima.
Das ist richtig. Das war und ist auch jetzt noch meine Meinung. Es wäre besser gewesen, schneller aus der Atomenergie auszusteigen. Aber ich sehe auch die gesellschaftlichen Realitäten. Es ist jedenfalls ein riesiger Schritt in die richtige Richtung.

Auch in der Europapolitik gibt es Überschneidungen mit der Regierung. Die Grünen haben diese mitgetragen.
Ich habe gegen die meisten Rettungspakete gestimmt, gegen ESM und Fiskalpakt. Jedes Mal hatten die Grünen einen Entschließungsantrag, in dem das Gute und Richtige drin stand. Trotzdem wurde danach den Paketen zugestimmt. Die Fraktion wollte nicht bei den Europakritikern eingereiht werden. Für mich war richtiger, die Kritikpunkte durch mein Nein zu betonen. Gerade in der Opposition sollten die gnadenlosen Sparauflagen für die Bevölkerung der Empfängerländer entscheidend sein. Ich fand die Hilfen richtig, aber die hätte man nicht den Banken, sondern der Bevölkerung gewähren sollen.

Wie ist denn die Diskussionskultur in der Fraktion? Werden Sie wie ein Außenseiter behandelt?
Das ist unterschiedlich. Ich werde bei den Debatten auch unterstützt von Kollegen, die eine ähnliche Auffassung haben, die dann aber der Meinung sind, die Fraktion sollte geschlossen abstimmen.

Fraktionsdisziplin gibt es also auch bei den Grünen?
Das ist in der Opposition keine Disziplin, die angeordnet wird. Man sagt, wir müssen ein möglichst
einheitliches Bild abgeben. Ich sehe das nicht so. Ich finde, es ehrt die Fraktion, wenn unterschiedliche Auffassungen auch im Abstimmungsverhalten deutlich werden.

Im Syrien-Konflikt warnen die Grünen vor einem Flächenbrand in der Region nach einem Angriff, andererseits sollen sich Russland und China »notwendigen Konsequenzen« nicht verschließen. Wie ist das zu verstehen?
Für einen Krieg zur Bestrafung gibt es im Völkerrecht keinerlei Grundlage. Wenn ein Kriegsverbrechen begangen wurde, dann ist dafür der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag zuständig. Der entscheidet über Beweislage und Strafe für die Verantwortlichen und nicht für ein Land oder die Bevölkerung. Einmal abgesehen davon, dass es hier kein UN-Mandat gibt. Auch der Schutz von Menschen rechtfertigt in Syrien keinen Krieg, weil durch die Angriffe aus der Luft Menschen getötet, aber nicht geschützt werden. Ich bin auch dafür, dass der Giftgasangriff aufgeklärt wird und Konsequenzen gezogen werden, aber nicht mit Eskalation des Krieges. Ich vertraue nicht auf Auskünfte der CIA oder des NSA, vor allem nach der Lüge zur Begründung des Irak-Krieges. Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht. Die Untersuchung sollte unabhängig und die Bewertung durch das Gericht erfolgen.

Die Grünen sind auch auf Propaganda hereingefallen. Wir erinnern an den Hufeisenplan in Kosovo. Hat Ihre Partei nun hinzugelernt?
Was ich von den Kollegen höre, ist, in Syrien geht es ohne die UNO nicht und erst einmal müssen die Fakten auf den Tisch.

Was ist, wenn Assad Giftgas eingesetzt haben sollte und trotz internationalen Drucks nicht damit aufhört? Da stößt der Pazifismus doch an seine Grenzen?
Ich bin kein Pazifist. Beim Kosovo- und Afghanistankrieg gab es Alternativen. Zum Beispiel ein Ölembargo gegen Milosevic, das erst während der Angriffe verhängt wurde. Wenn ein Giftgaseinsatz des Regimes bewiesen ist, machen auch die Russen Druck.

Welche Alternativen sehen Sie zurzeit zu einem Eingreifen im syrischen Bürgerkrieg?
Die Situation in Syrien ist tatsächlich sehr verkorkst. Es kann jedenfalls nicht sein, dass die NATO oder die US-Luftwaffe die Luftwaffe von Al Qaida wird. Die Al Nur-Brigaden, die Al Qaida sind, kontrollieren schon ganze Landstriche in Syrien. Dort wird die Scharia durchgesetzt. Die Brigaden führen Krieg gegen Kurden und andere Rebellen. Die Menschen fliehen auch davor. An beide Seiten werden Waffen geliefert. Ohne die Unterstützung von Saudi-Arabien und den Emiraten gäbe es wohl kaum Al Nur-Brigaden. Russland und andere unterstützen Assad. Ein Fortschritt wäre ein Ende dieser Hilfen.

Wie groß ist die Gefahr, dass Deutschland durch die in der Türkei stationierten Patriot-Raketen in den Konflikt hineingezogen wird?
Die Türkei will offenbar an den Luftangriffen teilnehmen. Die Syrer könnten dann ihre Raketen dagegen einsetzen. Sie könnten auch türkische Angriffsflugzeuge verfolgen. Dann würden dagegen die deutschen Raketen eingesetzt. Es würde den NATO-Bündnisfall geben. Deshalb müssen die Raketen zurück nach Deutschland.

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