Wer hat hier wen ausgetrickst?

Ein möglicher USA-Plan für Syrien: Islamistenregierung ohne chemische Waffen

  • Hannes Hofbauer
  • Lesedauer: 4 Min.
Der jetzt in New York vorgelegte UN-Bericht beweist: In Syrien wurde Giftgas eingesetzt. Doch von wem? Der Streit zwischen Russland und den USA über die Schuldfrage überschattet inzwischen ihre Genfer Vereinbarung. Hat die USA einen Masterplan in Sachen Syrien?

Rufen wir uns nochmals den Ablauf der jüngsten Ereignisse in Erinnerung. Da wurde mehrere Monate in der UNO darüber verhandelt, ob, wann und wie viele Beobachter den Einsatz etwaiger chemischer Kampfstoffe im syrischen Bürgerkrieg untersuchen dürfen. Im März 2013 war nahe Aleppo erstmals in westlichen Medien von Giftgastoten die Rede gewesen. Am 18. August trafen dann UN-Inspektoren in Damaskus ein, drei Tage später meldeten saudi-arabische TV-Stationen, dass in einem Vorort von Damaskus Tausende Giftgasopfer zu beklagen seien. Die USA, Großbritannien und Frankreich riefen sogleich nach Bestrafung; an der Täterschaft syrischer Regierungsgruppen ließen sie keinen Zweifel. Die Spezialisten der UNO begaben sich nach mehrtägiger Verzögerung an den Ort des Grauens.

Dann ging alles noch schneller: Obama sah seine selbst gezogene »rote Linie« überschritten und kündigte einen Militärschlag an, Cameron, Hollande und Erdogan standen Gewehr bei Fuß. Putin und Lawrow zogen alle ihnen zur Verfügung stehenden Register, drohten indirekt mit der Lieferung der letzten Komponenten des Flugraketenabwehrsystems S-300 an Assad und ließen - angeblich - US-Außenminister Kerry auf dem glatten diplomatischen Parkett ausrutschen. Als dieser beiläufig erwähnt hatte, eine vollständige Chemiewaffenabrüstung Syriens würde die US-Pläne ändern, machte sein russischer Amtskollege Lawrow daraus Nägel mit Köpfen, sprich: einen Abrüstungsplan, der zur - vorläufigen - Rücknahme der US-Angriffspläne führte.

Was, wenn Kerry nicht beiläufig, sondern bewusst die Karte mit der Vernichtung der syrischen Chemiewaffen gezogen hätte, nicht um des Friedens willen, sondern um eine zukünftige geopolitische Neuordnung im Nahen Osten für die USA problemloser gestalten zu können?

Der Plan dahinter könnte folgender sein: Washington kann in Syrien nicht mehr auf eine halbwegs laizistisch und westlich ausgerichtete Opposition bauen; dazu haben sich die Kräfteverhältnisse am Boden und im Exil zu stark geändert. Auch die Erfahrungen insbesondere in Libyen haben gezeigt, dass mit liberal-demokratischen Gruppen im aufgeheizten arabischen Ringen um die Macht kein Staat zu machen ist. Mit radikalen Islamisten wird Washington also leben müssen; die russische Alternative, eine weitere Unterstützung von Assad und/oder alewitschen Nachfolgern, kommt für Obama allem Anschein nach nicht in Frage. Dies vor allem deshalb, weil alle seine Verbündeten in der Region, von Saudi-Arabien über Katar bis zur Türkei, auf die sunnitische Karte setzen, wie rachsüchtig siegreiche Radikale auch sein mögen.

Eine Neuordnung, wie sie Washington vorschwebt, fußt auf drei Säulen: einer wirtschaftlichen, einer geopolitischen und einem Regimewechsel vor Ort. Zuoberst geht es um die Beseitigung wirtschaftlicher Hemmnisse für potenzielle große US-Investoren in einem vollständig geöffneten Markt, wie sie - für Washington viel zu zaghaft - von Assad bereits angegangen worden war. Der verheerende Krieg bietet zudem neue, noch vor kurzem ungeahnte Möglichkeiten im Wiederaufbau, an dem US-Firmen zu beteiligen sind. Ähnliche Wichtigkeit besitzt die Verdrängung Russlands aus dem Mittelmeer; der syrische Hafen Tartus ist der einzige feste Ankerplatz für die russische Marine im Mittelmeer. Und drittens streben die USA, wie immer bei Interventionen von Jugoslawien über Afghanistan bis Irak und Libyen, einen Regimewechsel an. Sie wünschen sich möglichst pflegeleichte Gesprächspartner im Inland, um ihre wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen durchsetzen zu können. Dies ist, wie die Beispiele in Irak und Syrien zeigen, allerdings schwieriger als gedacht.

Aus all dem kann geschlossen werden, dass der - vorläufige - Verzicht der USA auf einen entscheidenden Militärschlag gegen Assad für die unterstellten Pläne nutzbringend sein kann. Radikale Islamisten an der Macht in Syrien sind zwar nicht die erste Wahl; wenn ihnen zuvor allerdings der Zugriff auf sämtliche Chemiewaffen entzogen wird und die USA selbst es sind, die über ihre Verbündeten die Qualität und Quantität ihrer zukünftigen Bewaffnung kon᠆trollieren, dann sieht die Sache schon deutlich ungefährlicher aus. Ein Vorwand, um Assads Syrien nach seiner chemischen Entwaffnung zu bombardieren, wird sich allemal finden. Im Übrigen dürfte sich dieser mögliche US-amerikanische Plan auch mit den israelischen Wünschen decken. Islamisten an die Macht, so könnte die Losung aus Washington lauten, sie mögen kulturell und religiös stark sein, solange sie politisch zu handhaben und militärisch unter Kontrolle sind.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal