Die Hardware kann verschwinden

MEDIENinterview: Peter Glaser über die technischen Möglichkeiten der Geheimdienste und die Zukunft der Computer

  • Lesedauer: 5 Min.

nd: Sie sind ein großer Kulturhistoriker des Computers. Was sagen Sie aus dieser Perspektive zu dem, was in den letzten Monaten zur allumfassenden Internetüberwachung bekannt geworden ist?

Glaser: In den letzten zwei, drei Jahren hat sich - durchaus auch durch die technische Entwicklung - ein Paradigmenwechsel ergeben. Man ist in der Geschichte der Computerspionage, sozusagen der dunklen Seite des Hackertums, immer davon ausgegangen, dass Leute individuell ausspioniert werden können, was skandalös genug ist. Das hat jetzt nicht einfach nur eine kollektive Dimension bekommen, sondern eine totalitäre: Die Maschinen sind nun rechenstark genug, um es technisch möglich zu machen, dass die ganze Bevölkerung abgehört und kontrolliert wird.

Interessant dabei ist nicht nur die technische Seite, sondern auch die gesellschaftliche. Es gibt Leute, die sagen: Die Empörung ist jetzt gar nicht so groß, wie sie sein sollte. Wie sehen Sie das?

Es gibt ein grundsätzliches Problem, was Empörung im Zusammenhang mit Daten angeht. Die Existenz der Nukleartechnik ist mindestens so abstrakt wie der elektronische Datenverkehr. Die Atomtechnik führte und führt aber letzten Endes zu konkreten, beobachtbaren Dingen wie in Fukushima, Hiroshima oder Tschernobyl. Wenn mir Daten genommen werden, habe ich sie aber immer noch. Ein Aspekt an dieser Überwachung ist wirklich gefährlich: Es gibt Hinweise darauf, dass sich die Geheimdienste da in einem Maße selbstständig machen, das die Entwicklung der Demokratie gefährden könnte. Was da Kontrolle genannt wird - in Deutschland dieses Parlamentarische Kontrollgremium -, hat den Namen nicht verdient.

Eine der Grundlagen der Computertechnik waren die Verschlüsselungsschlachten in den beiden Weltkriegen. Sie sagen, der Computer wurde fürs Militär erfunden.

Stimmt und auch das Internet wurde ursprünglich in diesem Bereich entwickelt.

Eine aktuelle Weiterentwicklung, die viel diskutiert wird, sind die bewaffneten Drohnen. Auch Kriegsroboter gibt es, bei denen sich die Frage stellt, ob sie über den tödlichen Schuss entscheiden dürfen. Das große Thema ist also: Die Technik bestimmt den Krieg immer mehr. Sie sagen aber: Das ist nicht neu, das gab es im Vietnam-Krieg auch schon.

Ich beziehe mich auf Joseph Weizenbaums Buch »Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft« von Ende der 70er. Weizenbaum war Computerwissenschaftler am MIT. Das Problem, das er beschrieben hat, ist, dass Verantwortung diffundiert. In Vietnam war es so: Da lief die Aufklärung noch hauptsächlich analog, da gab es Aufklärungsflugzeuge, die Fotos gemacht haben. Die sind in Computerzentren eingescannt worden und ein Programm hat bestimmt: Hier sind die und die Strukturen zu sehen, mein Algorithmus teilt mir mit, dass hier eine höhere Dichte an Vietcong im Wald versteckt sitzt - also darf hier geschossen oder Napalm abgeworfen werden. Dann spuckt der Computer eine Karte mit speziellen Bereichen aus, in denen Piloten auch ohne Rückfrage feuern dürfen - normalerweise müssen sie sich vorher ihre Feuererlaubnis holen. Eine Verantwortung festzumachen wird dann immer schwieriger.

Sie haben mal gesagt: Die ganze Informationstechnik wird sich in eine Umweltbedingung verwandeln. Das haben Sie durchaus auch mit Optimismus verbunden. Aber für die Geräte werden ja seltene Erden gebraucht, und der Stromverbrauch steigt auch an. Wenn wir alle ständig mit Geräten verbunden sein werden - hat das vom Ökologischen her eine Zukunft?

Ich weiß es nicht. Die riesigen Datenzentren, die - Stichwort Cloud - auf der grünen Wiese gebaut werden, haben als ein Hauptproblem die Kühlung. Ich erinnere mich aber an eine ganz alte Meldung, vielleicht sogar noch aus den 1980ern: Da gab es einen frühen Supercomputer an einer amerikanischen Universität, die ihre Garagen damit beheizt hat. Überspitzt gesagt: Vielleicht werden wir einmal mit Computern heizen. Vielleicht verkaufen die Datenzentren irgendwann einmal neben Datentraffic und Speicherplatz auch Abwärme. Ich lache jetzt, aber ich lache nur halb, denn ich kann mir vorstellen, dass es tatsächlich in absehbarer Zeit in ernsthafte Nähe rückt.

Nochmal zu den Geräten: Es gibt ja diesen unglaublichen Geräteverschleiß, die werden immer weggeworfen. Muss man nicht ein größeres Bewusstsein in der Gesellschaft dafür schaffen, dass die ganze Zeit irgendwo auf der Welt irgendwelche seltenen Erden umkämpft sind, bis hin zu kriegerischen Auseinandersetzungen, weil wir ständig Bildschirme kaufen?

Ich finde es sehr wichtig, zu zeigen, dass die digitale Welt eben nicht eine rein virtuelle Welt ist. Meine Vision ist aber das, was Sie vorhin angesprochen haben, die Umweltbedingung: dass in den nächsten zehn oder zwanzig Jahren die Geräte, die wir heute haben, noch viel kleiner gemacht werden. Man stößt dann irgendwann an biologische Grenzen, weil man sie nicht mehr bedienen kann. Meine Auffassung ist: Man kann die Miniaturisierung nicht mehr schrittweise fortsetzen, sondern sie muss radikal durchgeführt werden. Das Ding muss ganz verschwinden. Meine Vorstellung von der Zukunft ist: Die Hardware verschwindet und es bleibt nur noch die Software. Es bleiben sozusagen die Funktionen - und sie sind in einer öffentlichen Infrastruktur vorhanden, so wie die Straßenbeleuchtung oder WLAN.

Das klingt reichlich utopisch. Wie viel davon ist überhaupt realistisch?

Es gibt ja schon Vorformen, zum Beispiel Projektionssysteme, bei denen keine herkömmliche Tastatur mehr benötigt wird - eine Tastatur aus Licht, die auf irgendeine ebene Fläche projiziert wird, auf der dann getippt werden kann. Man kann dann auch den Bildschirminhalt auf eine ebene Fläche projizieren lassen - auf ein Hosenbein, auf eine Handfläche zum Beispiel. Ich brauche also kein Objekt mehr, nur eine Eingabe- und eine Auslesemöglichkeit. Eine Kneipe könnte an jedem Tisch ein intelligentes Projektionssystem haben, das erkennt, wie ich meine Hand bewege. Das klingt heute noch kompliziert, aber so etwas wie ein IPhone war vor zehn Jahren auch schwer denkbar. Dass wir quasi das, was vor 30 Jahren ein sehr großes Rechenzentrum war, ganz selbstverständlich in der Hemdtasche herumtragen, war Anfang der 1980er pure Science fiction. Es ist also keine besonders kühne Phantasie, eine bestehende Technik zehn Jahre nach vorne zu denken. Heute habe ich überall Radioempfang. So wird sich auch das WLAN ausbreiten, es wird überall drahtlosen Internetempfang geben. Und so kann es auch kommen, dass ich irgendwann auf einer Parkbank sitze und sage: Ich brauche einen Bildschirm und eine Eingabemöglichkeit - und neben mir steht eine Straßenlaterne und da ist so ein Projektionssystem drin.

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