Ein unheimliches Interview

Wie sich der Konstanzer Südkurier der Werbewirtschaft unterwirft

  • Holger Reile, Konstanz
  • Lesedauer: 3 Min.
Ein Interview mit einem Autoren, der die Werbewirtschaft kritisiert? Ein Redakteur der Konstanzer Tageszeitung Südkurier führte es zwar, doch gedruckt wird es nicht - mit Rücksicht auf die Werbekunden.

Wolfgang J. Koschnick ist gar nicht gut zu sprechen auf den Südkurier, die Tageszeitung in Konstanz am Bodensee. Der renommierte Fachbuchautor aus Allensbach war von einem Südkurier-Redakteur zum Interview gebeten worden. Anlass: Koschnicks neues Buch »Der große Betrug. Die hartnäckigsten Lügen und Irrtümer über die Werbung«. Doch das geführte Interview erschien nie. Der Südkurier hat offensichtlich Angst, Werbekunden zu verlieren und schweigt deshalb das Buch und seinen Verfasser lieber tot.

Am 19. September, Koschnicks Buch war gerade erschienen, tauchte der Südkurier-Redakteur in Allensbach auf und befragte den Autoren zu seinem neuen Werk. Koschnick stand während eines etwa zweistündigen Gesprächs Rede und Antwort über Werbung und Werbewirkung. Er erinnert sich: »Insgesamt wurden wirklich kritische Themen gar nicht angesprochen. Der Redakteur bemühte sich von vorne herein um eine weiche Befragung (Was ist Ihr Lieblings-Werbespot? Schauen Sie gerne Werbung?).« Dann hörte Koschnick nichts mehr von der Redaktion und fragte deshalb am 1. Oktober per Mail bei nach, wann mit dem Abdruck des Interviews zu rechnen sei.

Postwendend kam die Antwort. Ja, das Interview sei fertig, schrieb der Redakteur, doch werde es nicht erscheinen. »Die Kollegen der Wirtschaftsseite, auf der es erscheinen könnte und sollte, gaben mir den sehr gut gemeinten und kollegialen Rat, das Interview zurückzuziehen. Grund: In unserem Medienhaus würde das Interview auf wenig Verständnis stoßen, da wir zu einem guten Teil vom Verteilen und Abdrucken von Werbung leben. (...) Ich denke und hoffe, dass Sie als Kollege die Grenzen redaktioneller Freiheit kennen. Der Text hätte sich für die Beteiligten im SK zum Bumerang entwickeln können. Was keiner will. Herzlichen Dank für Ihr Verständnis.«

Doch Verständnis für diese journalistische Bankrotterklärung will bei Wolfgang J. Koschnick nicht aufkommen. Er habe es selten erlebt, »dass ein Journalist so lächerlich und so unverhüllt vor den Werbekunden einknickt«. Und weiter: »Ich weiß zwar, dass so etwas häufig vorkommt, es verschlägt mir dennoch den Atem, wie schamlos ganze Redaktionen sich ihren Werbekunden unterwerfen.« Sein abschließendes Fazit zur Sache fällt überaus deutlich aus: »Der Grundsatz der Trennung von Redaktion und Werbung ist heute offenbar zur sklavischen - auch noch freiwilligen - Unterwerfung unter die Werbung verkommen. Wenigstens beim Südkurier.« Eine Nachfrage bei dem betreffenden Redakteur blieb unbeantwortet. Es ist zu vermuten, dass er enormen Druck von der Verlagsleitung bekam, denn schließlich gab es auch beim Südkurier enorme Anzeigenverluste. Davon ist auch Koschnick überzeugt, dem der Südkurier-Redakteur erzählt haben soll, dass er bei einer Veröffentlichung des Interviews »um seinen Job fürchten« müsse.

Auch das Medienmagazin »Zapp« bekam Wind von der Sache und berichtete in seiner Sendung »durchgezappt« am 9. Oktober darüber. Die Redaktion fragte auch bei Südkurier-Chefredakteur Stefan Lutz nach. Der bestätigte lediglich, dass es mit Wolfgang J. Koschnick »ein Gespräch« gegeben habe. Woraufhin Zapp süffisant formulierte, man müsse dem Chefredakteur wohl erklären, worin der Unterschied zwischen einem Gespräch und einem geführten Interview bestehe.

Es rumort kräftig beim Südkurier. 2011 stieg man aus dem bundesweiten Tarifvertrag aus, auch ein Streik der Beschäftigten brachte nichts. »Bis heute«, wusste kürzlich das Stuttgarter Online-Magazin »Kontext« zu berichten, »erhalten Verlagsmitarbeiter nur individuell vereinbarte Arbeitsverträge, derzeit offenbar auch nur befristet.« Und die Südkurier-Mitarbeiter vermuten weiteres Ungemach, denn kurz nach der Tarifflucht verkaufte die Stuttgarter Holtzbrinck-Gruppe 51 Prozent ihres Südkurier-Anteils an die Augsburger Allgemeine. Von dort kommen seitdem Signale, die das Konstanzer Zeitungshaus gar nicht gerne hört: Die Augsburger Verlegerin Andrea Volland ließ Ende 2012 verlauten, dass man verlagsintern rund zehn Millionen Euro einsparen wolle.

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