Gegen den (Kapitalismus) nur in Klammern opponieren?

Protest- und Bewegungsforscher versuchen Autonome zu fassen. Es gelingt nicht.

  • Markus Mohr
  • Lesedauer: 4 Min.
Markus Mohr wurde in der letzten Zeit immer mal wieder als alter Kommunist angesprochen, versteht sich aber in diesen Momenten als junger Autonomer. Er lebt von den Leistungen der Arbeitsagentur, die umgangssprachlich nach einem Straftäter benannt sind.
Markus Mohr wurde in der letzten Zeit immer mal wieder als alter Kommunist angesprochen, versteht sich aber in diesen Momenten als junger Autonomer. Er lebt von den Leistungen der Arbeitsagentur, die umgangssprachlich nach einem Straftäter benannt sind.

Das Deutsche Jugend Institut (DJI) ist eine an das Bundesfamilienministerium und »an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Politik und Praxis« angesiedelte Institution, die es auch nicht immer leicht hat.

Weil sich die konservativ-liberale Bundesregierung seit 2009 in den Kopf gesetzt hat, auf Kosten des Kampfes gegen den Rechtsextremismus, nunmehr auch den – man ahnt es bereits – Linksextremismus schlecht zu machen, musste das DJI sich dazu etwas einfallen lassen. Also organisierte es einfach zwei interne Veranstaltungen, um damit die »weiße Karte der Forschungslandschaft im Bereich Linksextremismus« vollzupinseln.

Die Erste fand Mitte Juni 2010 im Hause des Bundesfamilienministeriums statt. Eine Reihe ungenannter »Vertreter« gewohnt honoriger Institutionen wie z. B. das Bundeskriminalamt und der Verfassungsschutz schwadronierten dort über die »Hauptakteure linksradikaler Gewalthandlungen«, sprich: Autonome. Es kann sein, dass die dort erzielten Erkenntnisgewinne – über die seitens des DJI leider keine Mitschrift verfügbar ist – letztlich so mitreißend nicht waren.

Jedenfalls setzte das DJI gleich das nächste nicht-öffentliche Hearing an. Allen Ernstes organisiert unter dem Titel »Projektmodul: Neue Herausforderungen der pädagogischen Extremismusprävention bei jungen Menschen« fand dieses Anfang Oktober 2011 in Halle an der Saale statt. Ein Tagungsband unter dem Titel: »Linke Militanz im Jugendalter / Befunde zu einem umstrittenen Phänomen« gibt hierzu Auskunft.

Hier zeigt sich erneut, dass in der Bundesrepublik eine Protestforschung, die ihren Namen verdient, nicht ohne Beteiligung von Vertretern der Sicherheitsbehörden zu haben ist. Neben zwei höheren Polizeioffizieren »wirkte« als direkter Exponent auch ein vom Bundesamt für Verfassungsschutz aus unbekannten Gründen im Jahr 2006 außer Dienst gestellter langjähriger Referatsleiter der Abteilung Linksextremismus und Linksterrorismus mit.

Den Tagungsinitiatoren war es gelungen, den Senior Researcher und Experten für »Politik und Diskursnetzwerke«, Sebastian Haunss, von der Universität Bremen als Referenten zu gewinnen, um an diesem Ort den beschwerlicheren Weg der Aufklärung zu gehen. Dazu kann man sie nur beglückwünschen. Genosse Haunss weiß wirklich, wovon er spricht, hat er doch wenigstens mit der Herausgabe zweier Plakatbücher Großes in der Geschichte der unkontrollierten Bewegungen der Bundesrepublik geleistet.

Wie hat er sich nun in der Manege der pädagogischen Extremismusprävention von jungen Menschen geschlagen? Die beste Nachricht gleich vorweg: Mit seiner zutreffenden Feststellung, dass Autonome gerade keine Jugendbewegung sind, sperrt er auch so für die Zukunft die Tür gerade für ältere Menschen sperrangelweit auf: »Oma und Opa erleiden keinen Schaden, besuchen auch Sie mal den autonomen Infoladen!«

Gut auch, dass Haunss in seinem instruktiven Abriss die Verwendung der tückischen Formel eines »aktiven Verfassungsschutzes« vermeidet. Die Doyens der Bewegungsforschung, Roland Roth und Dieter Rucht, hatten damit in einem Buch über die sozialen Bewegungen in der Bundesrepublik materiell interessiert jede intellektuelle Barriere zu einer direkten Zusammenarbeit mit Vertretern der Sicherheitsbehörden eingerissen.

Als Essentials autonomer Politik sieht Haunss in seinen Abriss die »Politik in der ersten Person«, Basisdemokratie und eine Systemopposition zur »herrschaftlichen (kapitalistischen) Ordnung.« Das exemplifiziert er an den immer mal wieder umfänglich geführten Debatten zu Themen wie Organisation, Militanz und zu den Geschlechterverhältnissen. Historisch angelehnt an die britische Chartistenbewegung des 19. Jahrhunderts oder an die Civil Rights Movement in den USA in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die Reformbewegungen waren, sieht er Autonome als »Teil der linken Bewegungsfamilie« an, um sie auch so für die Zukunft in das Tableau der »lebendigen Bewegungsgesellschaft« einzureihen.

Stopp! Wird die von Haunss den Autonomen an anderer Stelle zugeschriebene »radikale Kritik der bestehenden politischen und ökonomischen Ordnung« womöglich von diesen doch nicht so radikal gedacht, wie er behauptet? Deren Systemopposition zum Kapitalismus mochte er ja nur in Klammern setzen. Warum eigentlich? Gewiss, eine fundamentale Ablehnung des Kapitalismus entspricht nicht den Voraussetzungen der im Horizont der »Bürger- und Bewegungsgesellschaft« entfalteten Erforschung der neuen sozialen Bewegungen. Ob es aber gerade in der gesellschaftlichen Wirklichkeit nicht doch angehen kann, die Autonomen eher als einen grazilen Ast am dicken Baum der Arbeiterbewegung zu interpretieren? Wenn ja, dann entfiele nicht nur die von Haunss um den Kapitalismus herum gesetzte Klammer. Ihre interpretatorische Anlehnung an die Bewegung der Wobblies der Industrial Workers of the World und die Bewegung der Räteanarchisten sowie Kommunisten zu Beginn des 20. Jahrhunderts wäre auch allemal besser begründbar.

Der Beitrag des Genossen Haunss beim DJI lässt sich vielfältig drehen und wenden: Der Autor beteiligt sich damit aber nicht an der Organisation und Verwaltung eines noch schlechteren Lebens der herrschenden intellektuellen Verhältnisse. Er hat nicht dem König das gegeben, was des Königs ist – und das beschreibt immer auch ein Moment an Aufklärung. Eben diese besitzt keinen privilegierten gesellschaftlichen Ort: Sie kann sowohl drinnen wie draußen aufblitzen.

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