Die Exit-Frage: Das Rennen ist eröffnet

Albrecht von Lucke über die kommende Große Koalition und Möglichkeiten für ein rot-rot-grünes Regierungsbündnis

  • Lesedauer: 4 Min.

75 Schwarze, Rote und Tief-Schwarze traut an einem Tisch: Woche für Woche wird uns nun am Mittwoch die große Eintracht der Großen Koalition direkt ins Haus gestrahlt. Was für ein schöner Schein! Denn spätestens mit dem Ende der Koalitionsanbahnung und der Aufnahme echter Verhandlungen hat sich der Fokus sämtlicher Parteistrategen fundamental verlagert - vom Beginn der Koalition auf deren Ende. Denn jede Große Koalition ist ein Provisorium und nicht auf Fortsetzung angelegt, sondern auf »Exit«, auf Ausstieg.

Vom ersten Tag der Verhandlungen an lautet daher für jede Partei die Gretchenfrage: Was ist aus den nächsten vier Jahren herauszuholen? Wie kommen wir, Union und SPD, aus dieser Koalition 2017 erfolgreich wieder heraus? Mit welchen Inhalten und mit welcher Strategie.

Inhaltlich sind die Schwerpunkte beider Lager bereits ziemlich klar. Die SPD korrigiert mit Mindestlohn, Mindestrente und Einschränkung der Leih- und Zeitarbeit vor allem die eigenen Agenda-Reformen. Indem die gravierendsten Fehler beseitigt werden, hofft die Partei endlich den Hartz-IV-Fluch hinter sich zu lassen und ein entspannteres Verhältnis zur Schröder-Ära zu finden. Angela Merkel dagegen setzt offenbar ganz auf die Profilierung auf ihrem Kerngebiet, dem Europa-Feld. Mit aller Vehemenz versucht sie, den einzelnen EU-Staaten über die europäische Kommission direkte Sparvorgaben zu machen - so es die Sozialdemokratie denn zulässt.

Parteistrategisch ist die Sache noch spannender - und diffiziler. Schwarz-Gelb, aber auch Rot-Grün sind mit dieser Wahl für vorerst unabsehbare Zeit gescheitert. CDU/CSU und SPD müssen sich daher bis spätestens 2017 neue Koalitionsperspektiven erarbeiten.

Für die Union hat sich schon mit dem vorletzten Wochenende eine neue Option aufgetan. Die Grünen haben auf ihrem Parteitag eindeutig den Schalter umgelegt: Nach dreimaligem Scheitern an Rot-Grün wollen sie sich endgültig aus der babylonischen Gefangenschaft der SPD befreien. Auch wenn sie inständig ihren Kurs der Eigenständigkeit betonen, bedeutet dies in erster Linie, dass einer zukünftigen schwarz-grünen Koalition grundsätzlich nichts mehr im Wege steht. Tatsächlich bietet sich den Grünen in den nächsten vier Jahren eine historische Chance - nämlich die FDP auf Dauer zu ersetzen, als strategisches Zünglein an der Waage bei jeder zukünftigen Koalition. Schwarz-Grün ist daher nicht mehr eine Frage des Ob, sondern nur noch des Wann - erst 2017 oder vielleicht gar schon 2015?

Auf Seiten der SPD verhält sich die Sache komplizierter. Nach dem Debakel von Rot-Grün ist es auch hier dringend geboten, neue Optionen aufzutun. Allerdings wird es für die SPD nicht reichen, nun einfach die strategisch gescheiterte Ächtung der Linkspartei für beendet zu erklären. Um Rot-Rot-Grün wirklich zu wagen, braucht es nicht nur eine rein rechnerische, sondern auch eine gesellschaftliche Mehrheit.

Was die Parteien links der Union bis 2017 benötigen, ist eine neue gemeinsame Idee für eine andere, gerechtere Gesellschaft. Der Ausgang der letzten Großen Koalition, von 2005 bis 2009, weckt dafür keine allzu großen Hoffnungen. Am Ende stand bekanntlich mit 23 Prozent das historisch schlechteste Ergebnis der SPD.

Doch 2005 ist keineswegs die einzige Referenz für eine Große Koalition. Exemplarisch für linken Aufbruch war vielmehr die erste, zwischen 1966 und 1969. An ihrem Ende stand mit Willy Brandt der erste Bundeskanzler der SPD - und mit ihm der Anspruch, mehr Demokratie zu wagen, der eine ganz Generation prägen sollte. Gewiss, Sigmar Gabriel ist kein Willy Brandt. Und dennoch steht der neue starke Mann der SPD genau vor der gleichen historischen Aufgabe, nämlich ein neues Bündnis links der Union zu schaffen.

Allerdings hängt die Frage entscheidend davon ab, inwieweit die Linkspartei überhaupt willens ist, zukünftig Regierungsverantwortung zu übernehmen. Solange der Disput zwischen »Bartschisten« und »Wagenknechten« die Partei weiter spaltet, wird man sich hier wenig Hoffnung machen können. Geschlossenheit nach innen und Aufgeschlossenheit in der Koalitionsfrage müsste daher die strategische Devise der Linkspartei lauten. Denn eines ist klar: Umso weniger kooperationsbereit die Linke, desto mehr werden die längst regierungswilligen Grünen in die Arme der Union getrieben. Schwarz-Grün oder Rot-Rot-Grün - das Rennen ist eröffnet.

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