»Menschenkapitalismus« über die Atlantikroute

Michael Zeuske rückt die Geschichte von La Amistad und des Sklavenhandels in ein neues Licht

  • Ute Evers
  • Lesedauer: 3 Min.
War der Aufstieg des »christlichen Abendlandes« überhaupt denkbar ohne die hunderttausendfache Verletzung elementarster Menschenrechtsverletzungen in der »dritten Welt«? Nein, sagt Michael Zeuske.

Im Sommer 1839 machte sich der spanische Küstenschoner La Amistad mit einer Ladung Sklaven von Havanna auf zu einem Zuckeranbaugebiet an der östlichen Nordküste Kubas. Doch die Sklaven rebellierten und lynchten Ramón Ferrer, den Kapitän des Schiffes, und seinen Koch. Nach einer Irrfahrt gelangten die Rebellen nach New Haven, im Norden der USA, wo sie zunächst festgenommen wurden. Der gerichtliche Prozess in den USA dauerte fast drei Jahre, bis die Amistad-Leute endlich als freie Menschen in ihre afrikanische Heimat zurückkehren konnten. Mit der Verfilmung des Amistad-Falles von Steven Spielberg 1997 hat diese Rebellion wohl einen größeren Bekanntheitsgrad erfahren, als so manches Geschichtsbuch es vermocht hätte.

Für Zeuske ist der Amistad-Fall emblematisch. Viele Jahre habe er in Archiven in Lissabon, Madrid, Sevilla, London und Havanna herumgestöbert. Er stieß auf unveröffentlichtes Material und durchforstete selbst Hafeneinfahrtslisten aus dem Havanna der spanischen Kolonie. Ramón Ferrer, das machte die minutiöse Archivarbeit klar, habe in großem Stil Menschen und Sklaven von Afrika nach Amerika geschmuggelt und große Profite daraus erzielt. An ihm werde das Ausmaß an Unmenschlichkeit jener Epoche und aller implizierten (christlichen!) Nationen deutlich. Es zeigt, wie wenig Interesse bestand, die von Großbritannien 1802 initiierten Gesetze zum Verbot des Sklavenhandels umzusetzen. »Trotz oder gerade wegen der angloamerikanischen Abolitionspolitik gab es einen gigantischen Menschenschmuggel, dessen Hauptakteure […] gegen alle gültigen Gesetze und Verträge verstießen.« Der Atlantik sei ein Freiraum für »Verbrechen gegen Menschenrechte« geblieben, die sich an der ökonomischen Logik orientierten und »alle Kaufleute und Produzenten der westlichen Welt […] in die Geschäfte mit den Profiten des Sklavenhandels einbezogen.« Hidden Atlantic wird dieser Raum des illegalen Menschenhandels zwischen Afrika und Amerika genannt, vor allem nach Kuba und Brasilien.

Der Amistad-Fall führt ihn zur Beziehung zwischen Sklavenhandel bzw. »Menschenkapitalismus«, so Zeuske, und der Zuckerindustrie. Die spanische Kolonie Kuba profitierte durch den riesigen Menschenkapitalismus derart, dass sie »zur reichsten und technologisch modernsten Kolonie der Welt« wurde. Zeuske nennt Zahlen, die für sich sprechen: Im 19. Jahrhundert wurden zwischen 800 000 und 1,3 Millionen Menschen von Afrika nach Kuba »importiert«. Zwischen 1847 und 1870 kamen dann etwa 125 000 chinesische Kontraktarbeiter hinzu, für Zeuske zu Recht eine »Sklaverei auf Zeit«. Die massive Nachfrage nach billiger Arbeitskraft ließ sich zurückführen auf die intensive Zuckerindustrie.

Der Historiker betont den Zusammenhang zwischen Sklaverei und Kapitalismus. »Ich fing an, Sklaverei als Kapitalismus zu begreifen, in dem das Hauptkapital menschliche Körper sind«. Als Ideengeber nennt er Karl Marx und Eric Williams aus Trinidad/Tobago, Letzterer eine Koriphäe in der Karibikforschung. Zeuske grenzt sich bewusst von der »Prominenz des Themas Abolition« ab, die bis heute den Handel mit menschlichen Körpern marginalisiere und verdecke. Der Abolitionismus war in den USA des 19. Jahrhunderts eine soziale Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei.

Sowohl der »christliche Westen« als auch »christliche Süden«, hebt Zeuske hervor, verdanken »ihren Aufstieg zu welthistorischer Bedeutung intensivstem Menschenhandel auf dem Atlantik«. Erst nach Ende des Sklaven- und Menschenschmuggels wurde der Süden »zu einem Synonym für Armut und Entwicklungshilfe«. Das Ende des Sklaventums kam in Kuba 1886 und in Brasilien 1888.

Zeuske, Professor für iberische und lateinamerikanische Geschichte, ist bekannt dafür, Fachwissen einem nicht spezialisierten Publikum verständlich zu machen. Alles, was in diesem »Untersuchungsbericht über Verbrechen gegen die Menschlichkeit« geschrieben wurde, ist »historische Realität, deren Konsequenzen noch heute spürbar sind.« Der Hang zum Detail macht die Lektüre streckenweise zäh, ein Schwachpunkt des sonst empfehlenswerten und spannend geschriebenen Buches.

Michael Zeuske. Die Geschichte der Amistad. Sklavenhandel und Menschenschmuggel auf dem Atlantik im 19. Jahrhundert. Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, 255 S. , KT, mit Illustr., 11,95 Euro.

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