Zweifelhafte Kündigungen

Mit laut Anwältin rechtswidrigen Mitteln sollen Mieter aus günstigen Wohnungen vertrieben werden

  • Rainer Balcerowiak
  • Lesedauer: 3 Min.
Ein Investor will zum Abriss vorgesehene Häuser im Prenzlauer Berg möglichst schnell entmieten. Den Bewohnern rät eine Anwältin zum Durchhalten.

Die econcept Beteiligungs-GmbH und ihre Unterfirmen erhöhen den Druck auf die verbliebenen Mieter in der Wohnanlage Belforter Str. 5-8, Straßburger Str. 33-36 und der Metzer Str. 35-37 in Prenzlauer Berg. In einem zum Abriss vorgesehenen Teil der Anlage erhielten nach nd-Informationen diejenigen Bewohner, die sich bislang weigern, einem Auszug zuzustimmen oder entsprechende Verhandlungen aufzunehmen, die Kündigung. Die Zeit drängt, im April sollen die Baumaßnahmen beginnen. Zu dem Projekt gehören unter anderem die Blockrandbebauung mit »Town-Houses«, die Aufstockung anderer Gebäudeteile sowie der Bau einer Tiefgarage. Bauvorbereitende Maßnahmen wie Baumfällungen wurden bereits durchgeführt.

Die Anwältin und Mietrechtsexpertin Carola Handwerk hält die Kündigungen für rechtlich unhaltbar. Denn der angegebene Grund, die »mangelnde wirtschaftliche Verwertbarkeit« der Immobilie, könne in diesem Fall nicht ins Feld geführt werden, so Handwerk gegenüber »nd«. Fast alle betroffenen Wohnungen seien mit öffentlicher Förderung durch die Mieter modernisiert worden und wiesen einen üblichen Standard auf. Außerdem schlössen die mit dem Vorbesitzer, einer inzwischen insolventen Genossenschaft, geschlossenen Verträge eine vermieterseitige Kündigung ausdrücklich aus.

Von der Bezirkspolitik fühlen sich die betroffenen Mieter im Stich gelassen. Denn ursprünglich sollten der Abriss und die Umgestaltung des bauhistorisch bedeutsamen Ensembles durch eine im Mai 2011 erlassene Erhaltungsverordnung verhindert werden. Dies gab dem Bezirk die Möglichkeit, die Bauvoranfrage abschlägig zu bescheiden, was auch geschah. Dagegen ging der Investor juristisch vor und machte Schadensersatzansprüche von bis zu 15 Millionen Euro geltend. Die ersten Verhandlungstermine hätten gezeigt, dass für den Bezirk und das Land ein hohes Risiko bestanden habe, den Rechtstreit zu verlieren, erklärte der Pankower Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung, Jens-Holger Kirchner (Grüne), auf Nachfrage. Zumal es in dem Verwaltungsverfahren einen schweren Formfehler gegeben habe, da ein Ablehnungsbescheid verspätet zugestellt worden sei. Daher habe man sich im Mai 2013 gezwungen gesehen, die Erhaltungsverordnung aufzuheben und einem Vergleich zuzustimmen, der dem Investor grünes Licht für sein Bauvorhaben gab.

Das sieht Kirchners Amtsvorgänger Michael Nelken (LINKE) anders. Die Verspätung bei dem Bescheid sei zum einen strittig und wäre ohnehin nicht entscheidend für die Hauptsache gewesen, so Nelken gegenüber »nd«. Gegen die nach umfänglicher Prüfung erlassene Erhaltungsverordnung für das Ensemble hätte der Investor aber nach seiner Einschätzung »keine Chance gehabt«. Natürlich gebe es bei derartigen Verfahren immer ein gewisses Risiko, doch dieses müsse man eben eingehen, wenn man es mit der Erhaltung preiswerten Wohnraumes und dem Schutz von Mietern ernst meine. Zwar sieht der Vergleich einen nach Alter der Mieter differenzierten Schutz vor Eigenbedarfskündigungen und Modernisierungsumlagen vor, doch mittelfristig wird in dem Ensemble preiswerter Wohnraum dauerhaft vernichtet. Die meisten Mieter zahlen derzeit drei bis vier Euro pro Quadratmeter, und viele könnten sich deutlich mehr auch gar nicht leisten.

Viele Mieter haben den Widerstand gegen die Entmietung der betroffenen Aufzüge aufgegeben. Die Unsicherheit und auch die bevorstehenden Baumaßnahmen sind für die größtenteils betagten Bewohner schwer erträglich. Doch Rechtsanwältin Handwerk rät allen, die sich nicht vertreiben lassen wollen, keinesfalls auf die Kündigung zu reagieren und es auf ein Räumungsbegehren ankommen zu lassen.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal