Buhrufe für Gabriel bei den Jusos

Delegierte beklagen »Tiefpunkt« / SPD-Chef: Bündnis mit Union ist »Koalition der nüchternen Vernunft« / Ueckermann: »Überzeugt mich ganz und gar nicht«

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Nürnberg. Sigmar Gabriel ist beim Bundeskongress der Jusos in Nürnberg mit Protestplakaten empfangen worden. Der SPD-Chef versuchte, den Koalitionsvertrag mit der Union gegen massive Kritik der Jungsozialisten zu verteidigen - erntete dafür aber auch Buhrufe. »Wir wollen die Menschen, denen wir mit diesem Koalitionsvertrag zu besseren Lebensbedingungen verhelfen können, (...) nicht vier Jahre lang warten lassen«, so Gabriel in Nürnberg.

Der Juso-Bundeskongress verabschiedete kurz darauf mit deutlicher Mehrheit einen Antrag, der die Regierungsvereinbarung mit der Union ablehnt. »Der vorliegende Vertrag zeigt, dass mit dieser Union kein Politikwechsel möglich ist. Deshalb können wir ihm nicht zustimmen«, heißt es in einem Antrag.

In der Diskussion um das Regierungsbündnis ging es teils hitzig zu. Auf Zwischenrufe antwortete Gabriel mit den Worten, wenn ein SPD-Chef eingeladen werde, dann sage der auch »seine Meinung, ob Euch das passt oder nicht«. Als der Sozialdemokrat gegen eine Kooperation mit der Linkspartei wetterte und auf deren angeblich ungeklärtes Verhältnis zu Israel hinwies, reagierten Jusos - und wiesen ihrerseits auf die Union: Er solle sich einmal »die Rassisten von der CDU« anschauen, rief ein Delegierter dem SPD-Vorsitzenden zu. Der reagierte sehr unwirsch.

Gabriel verließ dann den Saal - wohl aus terminlichen Gründen - während die Aussprache mit teils massiver Kritik noch lief. Redner der Jusos beklagten den Debattenstil des Parteivorsitzenden und sprachen von eine »Tiefpunkt«. Die Jungsozialisten müssten sich auf ihrem Bundeskongress nicht vom Parteichef beleidigen lassen, sagte ein Delegierter. Ein anderer Delegierter sagte, er sei »nicht so traurig, dass Sigmar wieder weg ist. Er hatte uns sowieso nicht so viel zu sagen.«

Nach Ansicht von Gabriel beinhalte der Koalitionsvertrag »nahe an 90 Prozent« dessen, was im 100-Tage-Programm des Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück gestanden habe. Die große Koalition sei keine Liebesheirat. »Aber sie ist die jetzt mögliche Regierungsmehrheit in Deutschland. Und sie ist eine Koalition der nüchternen Vernunft.« Gabriel rief seine Partei dazu auf, selbstbewusst in die Koalition mit CDU und CSU zu gehen. »Es gibt nur eine Partei, die die SPD klein machen kann: Das ist die SPD selber.«

Die frisch gewählte Juso-Vorsitzende Johanna Uekermann konterte. »Das Ergebnis der Verhandlungen überzeugt mich ganz und gar nicht«, entgegnete die neue Juso-Vorsitzende Johanna Uekermann dem Parteichef. Die SPD brauche Neuwahlen nicht zu fürchten. »Mit einer klaren Machtperspektive Rot-Rot-Grün können wir Menschen begeistern und für einen Politikwechsel sorgen.« Eine Delegierte sagte, »was mich nachdenklich stimmt, dass wir für unsere linken Ideen keine gesellschaftliche Mehrheit erringen konnten«.

Beim Parteinachwuchs gibt es großen Widerstand gegen den Eintritt in eine schwarz-rote Regierung. Uekermann warb für einen entsprechenden Initiativantrag auf dem Juso-Kongress. Ein »echter Politikwechsel« werde mit der Vereinbarung nicht umgesetzt. Uekermann bemängelte insbesondere den Verzicht auf Steuererhöhungen für Besserverdienende, fehlende Bafög-Erhöhungen und eine »Abschottungspolitik gegen Flüchtlinge«. Agenturen/nd

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