Transformative Figur und Mensch

  • Roberto De Lapuente
  • Lesedauer: 3 Min.

Nelson Mandela beklagte sich einmal darüber, dass ihm die Verklärung seiner Person zu einem »Messias« nicht gefalle. Diese Entwicklung mache ihm Sorgen. Er sei doch lediglich ein Sünder, der versuche, möglichst ohne Sünden durchs Leben zu kommen. In den letzten Jahren seines Lebens schien sich Mandela mit seiner Rolle als messianischer Popstar jedoch abgefunden zu haben. Vermutlich hatte er auch altersbedingt nicht mehr die Kraft, seinen Widerwillen zu artikulieren.

Er war – um es mit den Worten Jesse Jacksons zu sagen – eine »transformative Figur« und nicht bloß eine historische Gestalt. Er war ein Veränderer, der mutig für seine Überzeugungen eintrat. Die Nachrufe auf seine Person hoben auch dies hervor. Trotz allem war Mandela aber auch ein Mensch. Einer mit Fehlern und Schattenseiten. Diese Komponente kam im Wald der Nachrufe jedoch weniger zum Ausdruck. Eigentlich schade, denn die Würdigung des Menschen Mandela sollte wenigstens ansatzweise alle Facetten seines Daseins beinhalten. Um ihn als Menschen begreifen zu können, ist diese nachrufende »Vergöttlichung« völlig ungeeignet.

Regina Strassegger hat noch im Juli dieses Jahres (zu Mandelas 95. Geburtstag) einen Film für das ORF gemacht, in dem die schmale Gratwanderung zwischen dieser Lebensleistung, die nicht hoch genug zu loben ist, und den Schatten- und Kehrseiten, die sein gesamtes, vor allem aber sein spätes Leben durchzogen, gut deutlich wird. Strassegger fragte damals unter anderem einige Menschen in den Townships – und die antworteten so vielschichtig, wie es das Phänomen Mandela eben war. Sicher erkennen wir an, was Mandela für uns getan hat, sagten sie. Aber er und Mbeki haben so viel versprochen, was nicht Wirklichkeit wurde. Und warum musste der Mandela Children's Fund ausgerechnet in einem Stadtteil Johannesburgs ansässig werden, in dem es so wenig Arme gibt? Warum kungelt Mandela mit den Reichen? Strassegger geht in ihrem Film auch nicht eben zimperlich mit der Regenbogen-Demokratie um. Sie zeigt feiernde Eliten im modernen Südafrika. Mittendrin Mandela und die Seinen. Und sie zeigt die Armut, die synchron dazu ohne Apartheid gedeiht.

Natürlich hatte man viel erreicht, weitestgehend die friedliche Aussöhnung der Hautfarben gestemmt. Nach einer Weile betrieb die Mandela-Regierung aber beinahe nur noch Symbolpolitik – für eine Realpolitik, die die Lebenssituation armer Südafrikaner verbesserte, blieb wenig Spielraum. Dass sich im neuen Südafrika dennoch alle wohlfühlen, war die große Botschaft, die Präsident Mandela in die Welt sandte.

Strassegger zeigte außerdem, wie sich seit den Neunzigern eine messianisch inspirierte Richtung des Pop Art entfaltet hat. Mandelas Konterfei ziert allerlei Utensilien, ist überall präsent. Ähnlich dem Che-Kult. Er wird als milder Übervater stilisiert, als nationaler Heiliger und nicht zuletzt als unantastbare Instanz. Die Nachrufer scheinen hierzulande auf diese »Kunstrichtung« zu bauen und übertünchen damit den Umstand, dass der Politiker Mandela an Grenzen stieß.

Der Respekt vor dieser »transformativen Gestalt« gebietet es, neben dem uneingeschränkten Lob für seine Leistungen, auch mit seinen »negativen Seiten« respektvoll umzugehen. Man muss letztere ja gar nicht anklägerisch auflisten, aber doch wenigstens im Auge behalten. Mandela war ein fehlbarer Mensch, der trotzdem Großes leistete. So wollte er selbst auch gesehen werden. Das nun mit seinem Tode kenntlich zu machen, spendete uns fehlbaren Alltagsmenschen ja auch Hoffnung. Denn auch die großen Männer und Frauen der Geschichte sind innerlich zerrissen und keinesfalls unfehlbar. Es braucht keine Heiligen, um etwas bewirken zu können. Es braucht einfach nur Menschen. Die Aufgabe eines Nachrufs ist es, den Menschen zu erklären und nicht zu verklären.

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