Verwirrung der Gefühle

Neurophysiologisch betrachtet liegen Liebe und Hass im Gehirn nahe beieinander

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 5 Min.

Obwohl der Hass nicht ausdrücklich zu den sieben Todsünden gezählt wird, gilt er nach christlichem Verständnis als niedere Leidenschaft, die nur durch Liebe überwunden werden kann. Die berühmten Worte, die Jesus dazu in der Bergpredigt spricht, dienen deshalb vielen als Beleg für die »höhere Moral« des Christentums: »Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde, segnet, die euch fluchen, tut wohl denen, die euch hassen.«

Abgesehen davon, dass Jesus selbst nicht fähig war, danach zu handeln (bekanntlich drohte er Sündern und Ungläubigen mit dem Schwert und der Hölle), verletzt sein Gebot das individuelle Gerechtigkeitsempfinden und verlangt von Menschen etwas, was im Grunde nicht menschenmöglich ist: Wie soll ich zum Beispiel jemanden lieben, der meinen Freunden oder meiner Familie Gewalt angetan hat?

Aus Sicht der Biologie gehört die Fähigkeit zu hassen ebenso wie Fähigkeit zu lieben zur evolutionär erworbenen emotionalen Grundausstattung des Menschen. Das heißt natürlich nicht, dass Menschen gleichsam zum Hassen verdammt wären. Solche Fälle gibt es zwar auch, aber sie gehören für den Psychoanalytiker und Sozialphilosophen Erich Fromm eher in den Bereich des Pathologischen. Heute tummeln sich notorische Menschenhasser vor allem im Internet, wo sie im Schutz der Anonymität ihre Gewaltfantasien verbreiten können. Manche schreiten auch zur Tat, wie 2011 der norwegische Rechtsextremist Anders Breivik, der aus rassistischem Hass innerhalb eines Tages 77 Menschen tötete.

In der Regel bedarf es jedoch individueller körperlicher oder seelischer Verletzungen, damit ein Mensch einem anderen mit Hass begegnet. In solchen Fällen könne eine Hassreaktion durchaus von vitalem Interesse sein, meint Fromm, etwa bei Angriffen »auf mein Leben, meine Sicherheit, meine Ideale oder auf eine Person, die ich liebe«.

Einerseits ähneln sich Liebe und Hass in ihrer Intensität, andererseits gelten sie gemeinhin als extrem gegensätzliche Gefühle. Wissenschaftler hegten daher länger die Vermutung, dass die physiologischen Prozesse, die beiden Emotionen zugrunde liegen, im Gehirn recht deutlich voneinander separiert sind.

Am University College London haben die Neurobiologen Semir Zeki und John Romaya diese Vermutung experimentell überprüft. Sie nutzten dafür die heute beliebte Methode der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT), die es gestattet, den stoffwechselbedingten Blutfluss in verschiedenen Hirnarealen zu messen. Eine stärkere Durchblutung gilt dabei als Indiz für eine erhöhte neuronale Aktivität, so dass man mittels fMRT etwa erkennen kann, welche Gefühle mit welchen Hirnaktivitäten assoziiert sind. Wohlgemerkt: Es handelt sich hier nicht um eine Kausalbeziehung. Das heißt, Gefühle werden durch Hirnaktivitäten nicht unmittelbar verursacht, dafür sind in der Regel äußere Einflüsse entscheidend. Was Neurobiologen lediglich feststellen, sind Korrelationen, die sich allerdings oft als sehr robust erweisen. In solchen Fällen darf man wohl davon ausgehen, dass zwischen einer Emotion und einer parallel dazu gemessenen Hirnaktivität ein realer, wenn auch vermittelter Zusammenhang besteht.

An dem von Zeki und Romaya 2008 durchgeführten Experiment nahmen 17 Frauen und Männer teil, denen man Fotos von verschiedenen Personen vorlegte. Mit einigen dieser Personen verbanden die Probanden ein Gefühl, dass sie selbst als Hass bezeichneten. In der Mehrzahl waren dies Ex-Liebhaber bzw. Ex-Geliebte oder konkurrierende Arbeitskollegen. Auf den anderen Fotos, die als Kontrolle dienten, waren Menschen abgebildet, die die Probanden entweder nicht kannten oder denen sie neutral gegenüberstanden. Schon hier wird die große Schwierigkeit solcher Experimente deutlich. Denn sie sind nur dann von Nutzen, wenn die Versuchspersonen ihre Gefühle auch wirklich ehrlich beschreiben, woran Zeki und Romaya im konkreten Fall offenkundig keine Zweifel hatten.

Die beiden Forscher gingen überdies davon aus, dass Hass mit einem ähnlichen neuronalen Aktivitätsmuster im Gehirn korreliert ist wie ein dazu verwandtes Gefühl, nämlich Wut. Doch das Ergebnis war ein anderes. Beim Anblick einer verhassten Person wurden bei den Probanden regelmäßig zwei Hirnareale aktiviert, die man Putamen und Insula nennt. Zeki dürfte dies nicht ohne Überraschung registriert haben. Denn bereits im Jahr 2000 hatte er in beiden Hirnarealen eine ähnlich erhöhte Aktivität gemessen, und zwar bei der Erstellung des Hirnaktivitätsmusters von verliebten Menschen. Wie ist das zu erklären?

Das zu den Kerngebieten des Großhirns gehörende Putamen diene unter anderem der mentalen Vorbereitung von Bewegungen, so der Forscher: »Diese können gegen einen verhassten Feind gerichtet sein, aber sie können auch dem Schutz einer geliebten Person vor einem möglichen Rivalen dienen.« Dagegen reagiere die Insula auf beunruhigende Reize, »und sowohl geliebte als auch verhasste Gesichter können beunruhigen«.

Allerdings registrierten Zeki und Romaya auch deutliche Unterschiede zwischen den neuronalen Schaltkreisen für Liebe und Hass. So waren die für ein logisches und kritisches Denken maßgeblichen Bereiche der Großhirnrinde bei Liebenden viel weniger aktiv als bei hassenden Menschen. Auch dieses Ergebnis stimmt gut mit der Alltagserfahrung überein: Während ein Liebender die geliebte Person zumeist unkritisch betrachtet oder sie gar idealisiert, gehört zum Hass gewöhnlich eine kühl berechnende Komponente. Denn Menschen, die hassen, sind oft sehr einfallsreich, wenn es darum geht, der verhassten Person zu schaden, ohne dabei selbst als Urheber erkannt zu werden. Diese Verbindung von Gefühl und Verstand ist vermutlich auch der Grund, warum es Hass im engeren Sinn bei Tieren wohl nicht gibt.

Anders als die Liebe, die in der Regel auf eine Person fokussiert ist, kann sich Hass auf ganze Gruppen erstrecken, etwa auf Menschen anderer Hautfarbe, Homosexuelle oder Frauen. Zwar weiß niemand, was im Gehirn rechter, religiöser oder sonstiger »Hassprediger« vorgeht. Da diese jedoch dazu neigen, den von ihnen verbreiteten Unsinn selbst zu glauben, dürfte hier neben einer emotionalen Verarmung auch ein intellektuelles Defizit vorliegen.

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