86-65-88 - eine NPD-Zugnummer

Mit Porno-Sternchen auf dem Weihnachtsmarkt und Erpresservideo für den Apfel

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.
Die NPD ist erledigt, prophezeien Innenexperten. Zwar gibt es in der Neonazipartei heftige Grabenkämpfe, doch das Totenglöckchen läutete schon oft zu früh.

Es sei der Sinn des Lebens, irgendwie die Zeit zwischen zwei Orgasmen zu überbrücken, verkündet eine einschlägige Expertin namens Kitty Blair. Ihre Maße lauten 86-65-88, welche einstellige Ziffer für ihren IQ steht, ist unbekannt.

Die junge Frau, die schon bei der RTL2-Serie »Frauentausch« mitgemacht hat, ist - wenn man es zart mag - Tattoo-Model. Wer es härter will, kann die mit der Schwarzen Sonne tätowierte Blonde als Pornodarstellerin bezeichnen. Und weil es in ihren Sexfilmchen offenbar nicht so weit her ist mit Orgasmen, muss Kitty eben viel Zeit überbrücken. Beispielsweise dadurch, dass sie mit einem anderen Blondchen auf dem Duisburger Weihnachtsmarkt für ihre NPD Reklame läuft. Zitat von der Nazi-Partei-Website: »Wie bereits im letzten Jahr beschenkte die NPD Kinder mit süßen Leckereien und Erwachsene mit Informationsmaterial.« Und weil es - Fotos sollen das beweisen - großen Zuspruch bei den Bürgern gab, konnte »das von den Medien verzerrte Bild der NPD« erfolgreich verbessert werden.

Die Medien sind schuld an den Problemen der NPD? Klar. Sie haben dem bisherigen Parteichef Holger Apfel ein Burn-out-Syndrom auf- und ihn dann aus dem Amt gedrängt. Dann nahmen sie ihm den Fraktionsvorstand im sächsischen Landtag weg ... Oder war es nicht doch eher so, dass dem verheirateten Vater von drei Kindern ein parteiintern vorhandenes Video zum Verhängnis wurde? Apfel soll, so zeigt es angeblich, beim Bundestagswahlkampf einem Studenten der Hochschule für Wissenschaft, Technik und Kultur in Leipzig allzu nahe getreten sein. Wenn man dazu noch weiß, dass eben dieser 20-Jährige zur Kameradschaft Leipzig-Möckern gehört, scheint das Wort Intrige geeignet für den Fall des Apfel. Am Baum geschüttelt haben viele aus ehemaligen und noch aktiven NPD-Führungszirkeln. Auch der Verfassungsschutz? Möglich. Sollte Apfel nun noch sein Landtagsmandat abgeben, wäre zunächst der fast achtzigjährige Helmut Herrmann als Nachrücker dran. Oder Kandidat Nr. 2. Das ist der innerparteilich wegen seiner früheren Spitzeltätigkeit für den sächsischen Geheimdienst umstrittene Landesvorsitzende Holger Szymanski.

Hass und Missgunst paaren sich bei der NPD seit langer Zeit mit konzeptionellen Schwächen. Zudem steckt die NPD in einer Finanzkrise: 1,27 Millionen soll die Bundespartei an den Staat zurückzahlen, weil sie den mit gefälschten Rechnungsbüchern getäuscht hat. Jüngst musste man deshalb bereits alle hauptamtlichen Parteiarbeiter entlassen. Keine guten Voraussetzungen, um beim kommenden Wahlmarathon gute Plätze zu belegen. Bei der Bundestagswahl im September holte die Partei lediglich 1,3 Prozent. Nun droht Gefahr sogar in Sachsen. Hier sitzt die NPD seit 2004 im Landtag. Das ist nicht zuletzt ein Verdienst von Holger Apfel. Die NPD hat berechtigt Angst davor, dass die innerparteilichen Kämpfe viele Protestwählern abschrecken, die dann lieber zur »Alternative für Deutschland« (AfD) rennen. Obgleich auch die - nicht nur in Sachsen - im internen Streit gefangen ist. Auch wenn es um den Einzug ins Europaparlament geht, könnten die NPD-Chancen sinken.

Der Fall Apfel, dem bei Facebook von durchaus namhaften Kameraden nahegelegt wird, sich besser zu erschießen, kann getrost als eine Momentaufnahme der Neonazi-Partei gewertet werden. Zumal hochrangigen NPD-Funktionäre den Facebook-Rat mit »Gefällt mir« goutierten.

Also war’s das? Viele hoffen, die NPD könnte den Verbotsantrag, den die Bundesländer in Karlsruhe gegen die Partei eingereicht haben, überflüssig machen, durch Selbstzerlegung. So ließe sich auch noch eine Anti-Verbotsklage der NPD vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof vermeiden. Die hätte womöglich Erfolg. Hilfsweise schreibt man der NPD erneut die Rolle einer ostdeutschen Regionalpartei zu, gibt also gesamtdeutsche Entwarnung.

Das sei, so meint die sächsische Linksabgeordnete Kerstin Köditz, voreilig. Angeschlagene Boxer sind oft am gefährlichsten. Auch jenseits von Kitty-Blondchen auf Weihnachtsmärkten finden viele »guten Bürger« die NPD irgendwie »geil«. Die gerade wieder losgetretene Asyldebatte verschafft Zulauf. Allein fürs dritte Quartal verzeichnet die Bundesregierung 45 rechtsextremistische Veranstaltungen mit - wie es heißt - überregionaler Teilnehmermobilisierung. Ein Gutteil davon wurde von der NPD oder ihrer Jugendorganisation JN organisiert.

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