Werbung

Straffrei nach Prügelattacke

  • Marcus Meier
  • Lesedauer: 3 Min.
Ein mehrfach vorbestrafter Nazi attackierte zwei Pizzabäcker Nun wurde das Verfahren eingestellt. Begründung: Der Angeklagte hatte doch gerade erst im Knast gesessen.

Es ging um eine Pizza, die angeblich nicht den versprochenen Durchmesser von 28 Zentimetern aufwies: »Da fehlten ein paar Zentimeter«, sollte der Angeklagte am Mittwoch vor dem Amtsgericht Witten aussagen. Dem Chef der italienischen Imbissstube wollte er an den Hals langen - nach eigener Aussage nur, um das Opfer näher heranzuziehen. »Damit ich nicht so schreien muss«, so der arbeitslose Maurer.

Dann stieß er einen anderen Mitarbeiter über eine Theke und beschimpfte ihn als »Kanaken«. Glücklicherweise wurde niemand verletzt. Und der Anlass der Gewalt? Er war offensichtlich konstruiert. Die Polizei hat nachgemessen, die Pizza wies einen Durchmesser von 28 Zentimetern auf. So weit zumindest die Darstellung des Gerichtsreporters der »Westdeutschen Allgemeinen Zeitung« (WAZ).

Der 27-jährige Angeklagte gilt als Angehöriger der (in den letzten Jahren eher geschwächten) äußerst rechten Szene der Stadt im Ennepe-Ruhr-Kreis. Er ist mehrfach vorbestraft wegen Verwendung verfassungswidriger Symbole und Volksverhetzung - typische Szenedelikte. Kurz vor der erneuten Tat war zu einer Haftstrafe verurteilt worden.

Bernd Grewer, Direktor des Amtsgerichts Witten, hat den aus seiner Sicht »skurrilen« Fall verhandelt. Die Auseinandersetzung habe sich tatsächlich um die Größe der Pizza gedreht. Grewers Darstellung weicht in Details vom »WAZ«-Bericht ab. Der Angeklagte habe sein Opfer gegen einen Tisch gestoßen, als dieser ihn nach verhängtem Hausverbot nach draußen geleiten wollte, berichtet Grewer.

Dabei habe das Opfer Schmerzen erlitten - dies sei, bestätigt der Richter, eine Körperverletzung gewesen. Der Angeklagte habe den offenbar türkischstämmigen Pizzeria-Mitarbeiter auch als »Kanake« beschimpft, womit der Straftatbestand der Beleidigung erfüllt sei. Der Mittzwanziger sei tatsächlich mehrfach vorbestraft und rechtsradikal, so Richter Grewer. Und doch habe das Gericht das Verfahren eingestellt: Wegen einer anderen Tat habe der Angeklagte zwischenzeitlich mehr als fünf Monate im Gefängnis gesessen. Er war erst seit wenigen Wochen wieder auf freiem Fuß, wobei die Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt gewesen sei.

»Strafe nicht nötig«

Diese vorherige Haft wurde ihm vom Gericht zu seinem Vorteil ausgelegt. »Entscheidend war jedoch, dass der Angeklagte an einem städtischen Aussteigerprogramm teilnimmt«, betont Richter Bernd Grewer. »Unter Würdigung all dieser Umstände war eine neue Strafe nicht mehr nötig.«

Tatsächlich existiert beim Jugendamt der Stadt Witten eine »Aussteigerberatung Satanismus/Rechtsextremismus«. Ein weites Feld, das von exakt einer Mitarbeiterin beackert wird. Sie kümmert sich um mehr oder minder ausstiegsbereite Nazis, aber auch sehr engagiert um die Opfer ritueller Gewalt und das Themenfeld Satanismus, ist der städtischen Webseite zu entnehmen. Was Nazi-Aussteiger betreffe, weise das Programm einige kleinere Erfolge auf, sei aber alles andere als immer erfolgreich, so ein Antifa-Aktivist. Eine systematische Evaluation finde nicht statt: »Es existieren zumindest öffentlich keine genauen Zahlen.«

Der Angeklagte (Noch-)Nazi begründete seine Teilnahme an dem Aussteigerprogramm »WAZ« mit den Worten: »Das gibt sonst nur Ärger.« Nach wirklicher Einsicht klingt das nicht.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal