Polizei in Berlin kann beim Abfilmen zoomen und speichern

Für umstrittene Übersichtsaufnahmen schafft der Innensenat keine neue Technik an / Kritiker sehen sich bestätigt

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 3 Min.
Bei der Einführung der polizeilichen Übersichtsaufnahmen bei Demonstrationen durch den rot-schwarzen Senat in Berlin hieß es, einzelne Menschen seien nicht zu identifizieren. Jetzt kommt durch eine parlamentarische Anfrage der Piraten heraus, dass dies doch geht.

Wenn es in Berlin auf einer Demonstration zu Straftaten kommt, ist die Rechtslage klar. Auf Grundlage der Strafprozessordnung dürfen die Polizisten dann filmen und das Geschehen detailliert dokumentieren. Seit dem 1. Mai vergangenen Jahres darf die Polizei aber auch offen erkennbar bei »unübersichtlichen« Demonstrationen Aufnahmen zur Übersicht machen. Für die Verkehrslenkung des Einsatzes beispielsweise. Die Speicherung und Vernichtung dieser angeblich nicht individualisierbaren Aufnahmen regelt das »Gesetz über Aufnahmen und Aufzeichnungen von Bild und Ton bei Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzügen«. Das Gesetz war nötig geworden, weil es der Polizei in Berlin nach einem Verwaltungsgerichtsurteil aus dem Jahre 2010 untersagt gewesen war, friedliche Versammlungen einfach abzufilmen.

Kritiker der Überwachungspläne von Innensenator Frank Henkel (CDU) und seiner Polizei hatten von Beginn an gewarnt, dass durch diese Aufnahmen das hohe Gut des Versammlungsrechts eingeschränkt werde, weil sich Teilnehmer von Versammlungen durch die laufenden Kameras eingeschüchtert fühlen könnten. Die drei Oppositionsfraktionen im Abgeordnetenhaus – Grüne, LINKE und Piraten – hatten deshalb auch im Herbst vergangenen Jahres Verfassungsklage gegen die Übersichtsaufnahmen eingereicht, die noch nicht abschließend verhandelt wurde.

Neue Nahrung dürfte die auch immer wieder von Bürgerrechtsorganisationen formulierte Kritik an Übersichtsaufnahmen jetzt durch die Antwort auf Kleine Anfrage des Piraten-Abgeordneten Christopher Lauer erhalten. Der innenpolitische Sprecher der Piratenfraktion hatte einen Fragenkatalog bezüglich der Videoüberwachung von Aufzügen an Innensenator Henkel geschickt, dessen Beantwortung »nd« vorab exklusiv vorliegt. Demnach setzt die Polizei für die Übersichtsaufnahmen bereits vorhandene Kameras ein. Diese verfügen allesamt über Zoomfunktionen und Chips, um die Aufnahmen zu speichern. Technisch wäre es deshalb also ohne weiteres möglich, einzelne Aufzugsteilnehmer zu identifizieren. »Das widerspricht den Aussagen, die damals zur Einführung gemacht worden waren«, sagt Christopher Lauer. Denn ursprünglich war in Aussicht gestellt worden, dass bei der Neuanschaffung von Kameras für die Übersichtsaufnahmen auf diese Möglichkeiten verzichtet werden könnte. Immer wieder war vom vermeintlich harmlosen »Demo-TV« für den Einsatzleiter die Rede gewesen.

Dass der Innensenator in seiner Antwort auf die parlamentarische Anfrage nun schreibt, die mit der Anfertigung von Übersichtsaufnahmen speziell beauftragten Dienstkräfte der Polizei seien hinsichtlich der gesetzlichen Vorgaben »beschult«, beruhigt den Piraten Lauer indes genauso wenig wie die Aussage Henkels, dass Übersichtsaufnahmen »der ausschließlichen Freigabe durch die Polizeiführerin oder den Polizeiführer« unterliegen. Auch die angebliche Überprüfbarkeit sowie Recherchierbarkeit der Übersichtsaufnahmen schaffen bei Lauer kein Vertrauen in die Polizei. Im Gegenteil.

»Die Beantwortung der Kleinen Anfrage bestätigt alle unsere Befürchtungen, dass die Polizei keine Maßnahmen gegen den möglichen Missbrauch der Übersichtsaufnahmen trifft«, sagt Lauer. Weder technisch noch organisatorisch. Seltsam sind aus Sicht der Piraten auch die Begründungen für die bisher angefertigten Übersichtsaufnahmen: Während eine solche am 1. Mai vergangenen Jahres unter anderem bei der Kundgebung der rechtsextremen NPD und zweier Gegenveranstaltungen laut Innenbehörde wegen der »Größe und Unübersichtlichkeit« zur Lenkung und Leitung erforderlich war, zieht die Behörde für eine antifaschistische Versammlung gegen die rechtsextreme NPD vom 24. August 2013 in Hellersdorf eine ganz andere Begründung heran. »Unmittelbar vor der Anordnung von Übersichtsaufnahmen durch den Polizeiführer kam es zu Vermummung von Teilnehmerinnen und Teilnehmern der auf 1000 Personen angewachsenen Versammlung«, heißt es in der Beantwortung der Kleinen Anfrage. In so einer Gefahrensituation darf die Polizei aber sowieso filmen, also warum wurden dann angeblich nicht individualisierbare Aufnahmen angefertigt?

Weitere Ungereimtheiten bei der Anfertigung der Übersichtsaufnahmen hatte bereits 2013 eine parlamentarische Anfrage der Linkspartei bezüglich des 1. Mai ergeben. »Die Polizei hat die Anfertigung der Übersichtsaufnahmen völlig unzureichend kommuniziert«, erinnert sich der Abgeordnete Hakan Taş. So wurde entgegen der Vorschrift teilweise nicht einmal der Versammlungsleiter über das Abfilmen informiert und die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden ebenso überhaupt nicht wie vorgeschrieben von der Überwachung in Kenntnis gesetzt. Lautsprecherdurchsagen wären das Mindeste gewesen, meint Taş.

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