Dennoch!

Poesiealbum: Hilde Domin

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 3 Min.

Poesie ist ein Verschönerungsverein. Denn noch der Schmerz darf Ausdruck werden, und Ausdruck bedeutet: Der Schmerz ist noch nicht groß genug, um ein blankes Verstummen sein zu müssen. Ein Schrei tut weniger weh als das Elend, nicht mal mehr schreien zu können. Die Gedichte der jüdischen Dichterin Hilde Domin erzählen vom Mandelbaum, von leichtem Gepäck, von Lichtinseln und der Bittersüße. Hart am Schrei, verwandelt aber in ein Flüstern, bei dem das Wort »Rose« wie eine Weltengründung anmutet.

Hilde Domin, 1909 in Köln geboren, flieht schon 1932 vor Hitler. 2006 stirbt sie in Heidelberg. Das Hinausgehenmüssen hat sie zur Dichterin der Vorsicht erhoben: Bleibe ist ein verräterisches Wort. Und doch hat sie zur Rückkehr gefunden, so ganz anders als andere Dichter, Paul Celan etwa. Hilde Domin hat just in Deutschland ihren Frieden mit der Tatsache geschlossen, dass Wohnort nicht Heimat, aber doch immerhin ein Ort ist.

Interpretation ist Arbeit. Aber dies Gefühl stellt sich bei Lektüre der Domin-Gedichte nicht ein. Porenöffnung. Es fließt etwas durch dich hindurch. Frag nicht nach Spuren, spür nur das Fließen. Nichts fließt da überhitzt. Nichts brodelnd. Ein »Dennoch« fließt da. Es war ihr Lieblingswort. Lust kommt, über Hoffnung zu sprechen. Es kommt einem plötzlich vor, dass die Aussage, es existiere kaum Hoffnung, als Text weniger wert ist als die Aussage, dass es Hoffnung gibt. Eine Verneinung, sagen die Gedichte der Domin, ist immer ein geringerer Text. Jemand, der nicht gut hört, kann schon sagen, es gebe keine Musik. Wer aber ein entwickeltes Gehör hat, dem spricht man Musikalität zu. Das gilt als Talent. Hoffnungsvoll zu bleiben, ist auch eines. Ob einer für Offenbarung in Frage kommt, hängt von seinem Gehör ab.

Hoffnung, trotz dieses 20. Jahrhunderts? Ist das nicht zu viel verlangt? Von »gefährdeter Hoffnung« spricht Ruth Klüger in Bezug auf die Poesie der Hilde Domin. Ja, man stelle sich Hoffnung verfolgt, gejagt, vertrieben, verletzt vor, dann stimmt alles wieder. So, wie man leichter zu Gott findet, wenn man sich auch ihn verfolgt, verjagt, vertrieben, verletzt vorstellt. Einmal schreibt Hilde Domin von einer Taube, die der große, große Schrecken in die Lüfte, zur Flucht also treibt, höher und höher aus Angst, und so auch würden ihre Gedichte gejagt, schließlich »so hoch, dass sie irgendwo doch noch ein - schon ganz durchsichtiges - Blau oder Grün erwischen.« So leben wir doch. Fliehend. Aber »es blüht hinter uns her«.

Poesiealbum 309: Hilde Domin. Auswahl: Klaus Siblewski. Grafik von Cy Twombly. Märkischer Verlag Wilhelmshorst. 32 S., Broschur, 4 Euro.

Mit meinem Schatten

Ich gehe mit meinem Schatten,
nur von dem Schatten begleitet,
alleine mit ihm,
über graslose Wiesen.
Ich immer blässer,
er immer länger.
Er führt mich,
ich lasse mich führen.
Die kahlen Birken am Weg,
glatte weiße Finger,
kennen das Ziel
besser als ich.
Hilde Domin

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