Model mit Schweinebauch

Die Kastanienallee im Prenzlauer Berg wurde nach der Rekonstruktion freigegeben

  • Stephan Fischer
  • Lesedauer: 3 Min.
Jetzt sind die 660 Meter fertig und die Proteste gegen ihren Umbau längst verstummt. Trotzdem haben sie für weitere Straßenbauprojekte im Bezirk mehr Bürgerbeteiligung erwirkt.

Ihrem Spitznamen »Castingallee« macht die Kastanienallee im Prenzlauer Berg an diesem Morgen keine Ehre. Hastige Schritte und hochgezogene Schultern der Passanten wirken nicht gerade modelmäßig und riesige Sonnenbrillen sind bei Temperaturen um minus zehn Grad nicht zu sehen. Dafür ist die Straße selbst das Model: Nach einem fast dreijährigen Lifting wurden die 660 Meter zwischen dem U-Bahnhof Eberswalder Straße und der Schwedter Straße an der Grenze zu Mitte offiziell für den Verkehr freigegeben.

Für etwa 2,5 Millionen Euro wurden die Gehwege denkmalgerecht rekonstruiert, das hatte Folgen für die gesamte Kastanienallee: Die Fahrbahn wurde von elf auf neun Meter verringert, auf ihr haben die Radfahrer anderthalb Meter Platz pro Fahrtrichtung, ein Schutzstreifen pro Richtung wurde jeweils am rechten Fahrbahnrand markiert. Es gibt weniger Parkplätze, da Autos jetzt nur noch in den neu angelegten Parkbuchten halten dürfen. Vorher parkten sie über die gesamte Länge der Straße am Straßenrand.

Mehr als vier Fünftel der Mittel zur denkmalgerechten Rekonstruktion kamen aus Mitteln des Städtebaulichen Denkmalschutzes, ein Förderprogramm des Bundes, dessen Mittel das Land ergänzt und vergibt. Daher wurden die Gehwege, wo es möglich war, bei der Baumaßnahme mit den bereits vorhandenen Gehwegplatten, erneuert. »Wir konnten 60 Prozent der alten Platten wiederverwenden«, so Frank Kirsch vom zuständigen Tiefbauamt Pankow. Glücklich war er über diese Auflagen nicht immer: »Die neuen Platten haben alle das gleiche Format, sie sind mit zehn Zentimetern alle gleich dick und lassen sich gut verlegen. Die alten wölben sich in der Mitte bis zu 18 Zentimeter.« Diese Platten mit sogenannten »Schweinebäuchen« erhöhten den Aufwand bei der Verlegung.

Für Jens-Holger Kirchner (Grüne), den Pankower Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung, ist der Umbau eine Erfolgsgeschichte: »Für gute Geschichten ist die Kastanienallee immer gut. Aber so heftig es hier begonnen hat, so harmonisch endet es.« Unter dem Motto »Stoppt K 21« hatten sich bis Ende 2011 Gegner des Umbaus zusammengeschlossen, die Anspielung auf die Proteste gegen »Stuttgart 21« war nicht zufällig gewählt. Sie befürchteten, dass der Charakter der Straße durch die umfangreichen Baumaßnahmen verloren geht, die Straße durch die Beschleunigung der Straßenbahn gefährlicher wird. Ein Argument damals: Die jetzt geschaffenen Fahrradspuren würden wegen der verringerten Parkplatzzahl zugeparkt, die Radfahrer müssten doch wieder auf die Trasse der Straßenbahn ausweichen, wo sich vor den Umbauarbeiten der Radweg befand.

Die anfänglichen Befürchtungen, die Straße würde »totsaniert«, sieht Kirchner ausgeräumt: Kein einziger Baum musste gefällt werden, Barrierefreiheit wurde verbessert und auch die Sicherheit der Radfahrer sei erhöht worden, auch wenn sie durch die neu gestalteten Haltestellen der Straßenbahn fahren müssen: Radwege hinter den Haltestellen, wie es sie in der Schönhauser Allee und Pappelallee noch gibt, seien noch gefährlicher.

Vor dem Umbau der Pappelallee, der im Juni beginnen soll, wurden aber die Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung nach den Erfahrungen in der Kastanienallee ausgeweitet, beispielsweise durch Bürgersprechstunden. So sollen dort 2015, nach Abschluss der Arbeiten, 25 Prozent mehr Bäume stehen. Nicht nur Pappeln, weil die als Stadtbaum wegen ihres Wurzelwerks eigentlich ungeeignet seien. »Wir haben uns aber überzeugen lassen, dass zur Pappelallee Pappeln gehören«, so Kirchner zu einem Ergebnis des Bürgerdialogs. Und abschließend: »Ich bin mir sicher, dass es «Pappelallee 21» nicht geben wird.« Für solchen Protest soll die Kastanienallee nicht zum Model(l) werden.

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