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V-Person im Knast rekrutiert

Was Berlins Innensenator Henkel und das Hauptstadt-LKA über die NSU-Nähe von Nick Greger verschweigen

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.
Am Donnerstag, so versprach Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU), werde er den Abgeordneten reinen Wein über den Einsatz von V-Personen im Umfeld des NSU einschenken. Noch sieht der trübe aus.

Der Skandal um die Vertrauensperson (VP) des Berliner Landeskriminalamtes (LKA) namens Nick Greger hat die Hauptstadtgrenzen längst überschritten. Nicht nur der Untersuchungsausschuss zum Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) in Thüringen ist hellhörig geworden.

Vor knapp drei Monaten, so behauptet der Neonazi Greger, sei er in Pößneck von zwei Beamten des Berliner LKA bedrängt worden. Sie hätten ihm nahegelegt, nicht in einem Untersuchungsausschuss zum Brandenburger Verfassungsschutzspitzel Carsten Szczepanski (»Piatto«) auszusagen. Der sollte den NSU-Terroristen, die zehn Menschen umgebracht haben, Waffen beschaffen.

Die Beamten hätten Greger zugesichert, die Akten mit Verweisen auf »Piatto« oder ihn selbst »so gut es ging« geschwärzt zu haben. Greger wörtlich: »Und ich soll meine Schnauze halten, denn sonst könnt’s schon sein, dass jemand um mein Haus schleicht oder an meinem Gefährt was manipuliert.« Seit der turbulenten Innenausschusssitzung am Montag wird so eine Begegnung vom Berliner Innensenator nicht mehr bestritten.

Hellhörig geworden sind auch Mitglieder des NSU-Untersuchungsausschusses in Sachsen. Nicht nur weil der Neonazi dort seine militante Politkarriere begonnen hatte. Das fragliche Treffen der Berliner Polizisten mit Greger fand am 31. Oktober 2013 statt. Genau eine Woche zuvor waren im sächsischen Untersuchungsausschuss zwei Berliner LKA-Beamte vernommen worden.
In Dresden wittert man nun einen Zusammenhang. Eigentlich, so erinnert sich die Innenpolitikerin der Linksfraktion Kerstin Köditz, sollten die Zeugen über ihre V-Person, den NSU-Unterstützer Thomas Starke, berichten. Sie gaben sich nicht sehr kundig, doch immerhin kam bei dieser Gelegenheit heraus, dass das Berliner LKA weitere V-Personen in Sachsens Neonaziszene geführt hat.

Michael T., einer der in Dresden befragten Staatsschützer, war nicht nur mit dem Blood&Honour-Mann Starke, der dem NSU Sprengstoff und Unterkunft beschafft hatte, befasst. Der Kriminalhauptkommissar hatte auch mit Nick Greger zu tun.

Wenn Berlins Innensenator Henkel am Donnerstag seine »Schulaufgaben« gemacht haben wird, könnte er bestätigen, dass Staatsschützer Michel T. der erste V-Mann-Führer von Greger war. Angeworben hatte man den Neonazi am 29. März 2001, als er wegen gemeinsam mit »Piatto« ausgeführter Bombenbastelei in der Justizvollzuganstalt Berlin-Tegel saß. Auch als der Gefangene nach Plötzensee verlegt wurde, hielt der Kontakt zum LKA. Der Beamte W., der auch ergebnislos vor dem Untersuchungsausschuss in Dresden vernommen worden war, übernahm den V-Mann. Wie ergiebig die monatlichen Treffs waren und welche Vergünstigungen Greger erhielt, kann sicher auch LKA-Kollege S. erklären. Während es dem Brandenburger Verfassungsschutz gelang, die Justiz zu täuschen und seinen V-Mann durch eine angeblich günstige Sozialprognose vorfristig aus dem Knast zu holen, misslang der Trick in Berlin. Die Aussteigerorganisation »Exit« glaubte Gregers »Läuterung« nicht.

Der Mann hatte dem LKA immerhin angeboten, über die internationale militante »Combat 18«-Bande zu berichten, nach deren Zellenkonzept auch die NSU-Mörder operierten. Dennoch brachen sie den Kontakt im März 2003 ab. Vermutlich weil sie feststellten, dass Greger weiter Kontakt zu »Piatto« hielt. Das hätte womöglich Operationen des Brandenburger Verfassungsschutzes stören können, denn deren Spitzel war inzwischen zu einem Top-Tippgeber aufgebaut worden. Keiner, so sagen seine Betreuer noch heute, war dichter am NSU-Trio als er. Greger ging ins Ausland – als Söldner und Quartiermacher für deutsche Neonazis in Südafrika.

Ob Berlins Innensenator am Donnerstag alle Fakten auf den Tisch legt, ist zweifelhaft. Denn – so hört man aus Polizeikreisen –, nicht nur das LKA habe den V-Personen Vertraulichkeit zugesichert. Wer noch? Rührt auch die Staatsanwaltschaft im V-Mann-Sumpf? Das wäre bizarr. Schließlich hatte Henkel den Oberstaatsanwalt Dirk Feuerberg als Sonderermittler zu den »Informationspannen« im Zusammenhang mit der NSU-Terrorzelle eingesetzt. Wurde auch er getäuscht? Oder gehört er zum Schweigekartell? Sicher ist nur, dass sein vor einem Jahr vorgelegter Bericht zumindest höchst unvollständig ist.

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