Der Besserwessi ist zurück - jetzt sogar global

  • Roberto de Lapuente
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Besserwessi ist zurück. Er belehrt aber nicht mehr Ostdeutsche, sondern ist auch in ihnen aufgegangen. Nun hat er einen globalen Auftrag.

Nach der Wende führten sich Westdeutsche gerne besserwisserisch und arrogant gegenüber Ostdeutschen auf. Die Menschen aus der DDR, so wurde vermittelt, hätten keinerlei Ahnung vom richtigen Leben. Ich erinnere mich an eine Werbekampagne eines Waschmittels aus jener Zeit. Da setzte man ostdeutschen Hausmütterchen im Kittelschurz eine westdeutsche Powerfrau in mondänen Sakko vor die Nase, die dann in völliger Verblendung erklärte, wie man seine Wäsche richtig sauber bekommt. Mann, war das peinlich! Aber so war das Lebensgefühl seinerzeit im Westen. Dieses ganze überhebliche Auftreten gebar ein neues Wort: den Besserwessi. Eine Kombination aus besserwisserisch und Westdeutscher.

Der Begriff wurde sogar zum Wort des Jahres und fand Einzug in den Duden. In dem heißt es, der Besserwessi sei eine »Person, die aus den alten Bundesländern stammt und sich gegenüber Bewohner[inne]n der neuen Bundesländer besonders in Bezug auf den politischen und wirtschaftlichen Bereich besserwisserisch und belehrend verhält«. Irgendwann verschwand das Wort aber wieder aus dem Alltag, es hatte sich abgenützt. Die westdeutsche Überheblichkeit wurde Normalität, die kein explizites Wort mehr benötigte.

Mir scheint, der Besserwessi ist zurück. Nicht in seinem bundesrepublikanischen Mief, sondern bezogen auf einen globalen Kontext. Er hat eine größere Dimension angenommen. Man muss auch kein Westdeutscher mehr sein, um ein solcher Besserwessi sein zu dürfen. Das beweist unter anderem der Bundespräsident. Im Namen des Westens ist man ja etwas Besseres. Man belehrt als Westdeutscher nicht mehr Ostdeutsche, sondern als Mitglied der westlichen Welt all diejenigen, die es nicht sind. Beweist der ostdeutsche Besserwessi aus Bellevue, dass die Einheit gelungen ist? Ist es das, was Deutschland zusammenhält? Der Identitätsstifter?

Die Kreuzzüge schweiften zuerst in die Ferne, gerieten dann aber vor die eigene Haustüre. Erst zog man in die islamische Welt hinaus und landete dann im Baltikum oder bei den Katharern in Okzitanien. Der Besserwessi hat es genau andersherum gemacht. Ein bisschen so wie die Konquistadoren der spanischen Krone, die in der Reconquista für die Befreiung ihrer Halbinsel von islamischen Einflüssen kämpften und dann in Übersee landeten. So kanalisierte die Krone, nachdem die letzten islamischen Herren vertrieben waren, das kriegerische Potenzial, das plötzlich ohne Betätigungsfeld war. Man schickte die Condottieri einfach in die Neue Welt und gab ihnen eine neue Dimension ihres Handwerks.

Man muss sich nur mal anhören, was die politischen Eliten für besserwisserische Phrase drechseln, wie sie »humanitäre Einsätze zur Schaffung der Demokratie« fordern oder Lebensweisen von Völkern aus anderen Kulturkreisen unverständig kritisieren. Ihr habt doch keine Ahnung wie man arbeitet, sagte dieser Typus früher zu seinen Landsleuten aus dem Osten; ihr habt keine Ahnung, wie man in der modernen Welt lebt, sagt er heute den Muslimen, Indern oder Afrikanern. Nur rumsitzen im volkseigenen Betrieb, lieber Landsmann, das bringt es nicht, erklärte er einst; ihr müsst eure Betriebe für unsere Ideen und Innovationen öffnen und noch billiger fertigen, weiß er heute den Schwellenländern zu berichten. Marktwirtschaft macht frei, erklärte er dem Ossi; Marktwirtschaft macht frei, sagt er dem bulgarischen Tagelöhner.

Das Sendungsbewusstsein ist erwachsen geworden und hat das eigene Haus verlassen. Es ist ein Weltauftrag geworden. An Ostdeutschland hat man geübt, was man der Welt später predigen wollte. Gut, eine richtige Treuhand haben wir der Welt nicht aufgelegt. Wir verwalten nur mal quasi treuhänderisch einige Demokratien und ihr Haushaltsrecht in Europa.

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